Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Das Internet

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Die Geschichte des Internet beginnt in den späten Sechzigern in den USA. Die ARPA (Advanced Research Projects Agency), eine dem Pentagon unterstellte Behörde mit der Aufgabe, Innovationen zum Zwecke des Ausbaus des technologischen Vorsprungs der USA zu entwickeln, finanziert seit geraumer Zeit die Anschaffung von damals praktisch unbezahlbaren Großrechnern für Universitäten und Forschungseinrichtungen – und eines Tages kommt ein Mitarbeiter der Behörde auf die Idee, diese Rechner miteinander zu verbinden, um eine effizientere Nutzung dieser kostspieligen Ressourcen zu ermöglichen. Gegen den Widerstand vieler Forscher, die ihre ohnedies geringen Rechnerkapazitäten nicht auch noch mit anderen Institutionen teilen möchten, werden 1969 Tausende Kilometer Telefonkabel zwischen den Universitäten von Los Angeles, Santa Barbara, Stanford und Utah verlegt und Rechner installiert, die die voneinander abweichenden 'Sprachen' der dortigen Großrechner untereinander 'übersetzen'. Am 29. Oktober 1969 ist es schließlich so weit – erstmals kommunizieren zwei Menschen über zwei aneinander angeschlossene Computer (auch wenn der Rechner in Stanford nach dem dritten Buchstaben überlastet abstürzt).

Derlei Rückschlägen zum Trotz wird das so genannte ARPAnet weiter ausgebaut, allerdings über Jahre hinweg im Vergleich zu den enormen Kosten vergleichsweise wenig genützt. Der Durchbruch dieser Technologie kommt erst Mitte der Siebziger Jahre. Unabhängig von den Versuchen in den USA hat man auch in anderen Ländern mit der Vernetzung von Computern experimentiert, und 1974 veröffentlichen zwei amerikanische Wissenschaftler - Robert Kahn und Vinton Cerf - eine von ihnen entwickelte Methode, diese miteinander zu verbinden und so Kommunikation zwischen den einzelnen Netzen zu ermöglichen. Dieser Vorschlag wird 1977 realisiert: das 'Internet' ist geboren.

Zu diesem Zeitpunkt dient die Vernetzung von Rechnern längst nicht mehr hauptsächlich der gemeinsamen Nutzung ihrer Kapazitäten: die ""killer application" des Internet" (Rademacher 2001: 76 ) ist seit 1972 E-Mail. Die erste E-Mail-Software, die Raymond Tomlinson, ein am Netzaufbau beteiligter Ingenieur, innerhalb weniger Wochen geschrieben und allen Nutzern frei zugänglich gemacht hat, wird von den Nutzern begeistert aufgenommen.

Während das Netz ursprünglich gebaut worden war, um Computer miteinander zu verbinden, verdankte es seinen durchschlagenden Erfolg schließlich seiner nicht vorgesehenen Fähigkeit, auch Menschen miteinander in Kontakt zu bringen ... .
Musch 1997: 33

Die von den Konstrukteuren eigentlich gar nicht eingeplante Möglichkeit, Menschen am anderen Ende des Kontinents in bis dato unerreichbarer Geschwindigkeit Briefe zukommen zu lassen, macht die 'elektronische Post' so beliebt, dass das übermittelte Datenvolumen binnen kürzester Zeit in ungeahnte Höhen schnellt und sich erstmals auch Nicht-Wissenschaftler für das Computernetz zu interessieren beginnen. Elektronische Diskussionsgruppen und Mailing-Listen entstehen, seit 1976 gibt es das Newsgroup-Netz USENET, immer mehr Menschen nutzen das Netz, um über wissenschaftliche Themen, Science-Fiction-Filme und das Wetter zu diskutieren, erstmals in der Geschichte entsteht so etwas wie eine 'virtuelle Gemeinschaft' von Menschen an ganz verschiedenen Orten – und es werden immer mehr:

Dank E-Mail und virtueller Welt wächst das Internet nun gewaltig an: Noch 1973 haben gerade mal 2000 Menschen über 35 Hosts das Netz genutzt; acht Jahre später sind es etwa 500 000 User auf 188 Hosts.
Rademacher 2001: 77

Ohne jegliche zentrale Regulierungsbehörde ist die weitere Entwicklung des Netzes ganz seiner stets wachsenden Eigendynamik unterworfen. Reformen oder allgemein gültige Richtlinien werden von der ein wenig anarchistisch angehauchten Netzgemeinde (die bis dato praktisch ausschließlich aus Computerexperten besteht) nach ihrem Gutdünken oder gar nicht umgesetzt; was durchgesetzt wird, oft erst nach jahrelangen Diskussionen – etwa die sieben ursprünglichen Top-Level-Domains .edu, .com, .gov, .mil, .org, .net und .int, die erst 1986 eingeführt werden, etwa zur gleichen Zeit, in der sich aufgrund der ständig wachsenden Anzahl an Beiträgen eine Unterteilung des USENET in themenbezogene Hierarchien (z.B. soc für Soziales, rec für Fragen der Freizeitgestaltung und sci für wissenschaftliche Themen) als notwendig erweist.

Das rasante Wachstum und die dezentrale Struktur des Internet macht es bald unmöglich, auch nur einen groben Überblick über alle Informationsangebote zu behalten. Als 1991 Tim Berners-Lee, ein Mitarbeiter des CERN in Genf, ein System zur internen Informationsverwaltung programmiert, in dem Informationen auf einer grafischen Benutzeroberfläche dargestellt, mittels intuitiv zu bedienenden Steuerelementen angewählt und miteinander verknüpft werden können – kurz, ein Hypertextsystem – , ist das der letzte Baustein, der dem Netz zum endgültigen Durchbruch verhilft. 1992 wird das Internet in den USA für kommerzielle Unternehmen freigegeben, 1993 ist mit 'Mosaic' der erste Browser verfügbar, 1995 geht Netscape Communications an die Börse (und steigert binnen acht Stunden seinen Wert um das Zweieinhalbfache).

Mit der Anzahl der mit dem Internet verbundenen Rechner steigen auch die Geldmengen, die von enthusiastischen Investoren in die vermeintliche neue Goldgrube gepumpt werden. Im Jahr 2000 kommt schließlich nach Jahren überproportionalen Wachstums die Ernüchterung: Technologieaktien fallen ins Bodenlose, 'Dotcom'-Unternehmen gehen in Scharen bankrott, die Nutzergemeinde muss mit der gerichtlich verordneten Schließung der Online-Musiktauschbörse Napster zur Kenntnis nehmen, dass das Netz trotz seines demokratisch-egalitären Images kein rechtsfreier Raum ist.

Auch wenn die Goldgräberstimmung mittlerweile vorüber ist, so steigen die weltweiten Nutzerzahlen doch nach wie vor an. Von einer arkanen Beschäftigung für Computerspezialisten hat sich das Internet zu einer beinahe unerschöpflichen Informationsressource, einer vielseitigen Handelsplattform und einem günstigen Kommunikationsmedium für alle, die es sich leisten können, entwickelt: Mitte 2003 hatten weltweit geschätzte 619 Millionen Menschen Zugang zum Internet, etwa 4 Millionen davon in Österreich, was etwa 59% der Gesamtbevölkerung entspricht (vgl. Global Reach ; Austrian Internet Monitor ). Die Rasanz der Entwicklung macht Prognosen zur Zukunft des Internet schwierig bis unseriös – sicher dürfte allerdings sein, dass die computervermittelte Kommunikation in der einen oder anderen Form auch weiterhin nicht mehr aus der Lebenswelt der westlichen Gesellschaft wegzudenken sein wird.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann