Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Computervermittelte Kommunikation

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Als Sammelbegriff für alle Kommunikationsformen, die via Internet realisiert werden, hat sich in der deutschsprachigen Literatur der Terminus 'computervermittelte Kommunikation' (CVK) durchgesetzt, eine Lehnübersetzung der angelsächsischen 'Computer-Mediated Communication' (CMC). Die gröbste Unterteilung erfolgt meist mittels der Dichotomie synchron/ asynchron, womit nicht die Geschwindigkeit der Übermittlung angesprochen wird (die im Normalfall ohnedies bei jeder Art von computervermittelter Kommunikation im Millisekundenbereich liegt), sondern die Frage, ob zum Gelingen der Kommunikation sowohl Produzent als auch Rezipient an ihrem jeweiligen Bildschirm anwesend sein müssen.

Zu den synchronen Typen von computervermittelter Kommunikation zählen Chats (Webchats, IRC), Voice Chat, Instant Messaging-Systeme wie ICQ und so genannte MUDs bzw. MOOs , textbasierte virtuelle Umgebungen:

On some MUDs you only interact with other players that are logged on, similar to an online chat system. On other MUDs you can also interact with a game world where you can explore, fight monsters, and collect treasure [sic], either alone or in the company of other players that are logged on.
Potter 2000 [keine Paginierung]

All diese Anwendungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Botschaft des Produzenten nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten praktisch sofort auf dem Bildschirm des Adressaten erscheint, wodurch eine Kommunikation nahezu in Echtzeit möglich wird: der Server des Kommunikationssystems leitet die Botschaften sofort an den Adressaten weiter (daher auch die Bezeichnung 'Internet Relay Chat') und eine Kommunikation kommt nur zu Stande, wenn beide Gesprächsteilnehmer zur gleichen Zeit mit dem Server verbunden sind. Bei den asynchronen Formen von computervermittelter Kommunikation dagegen wird die Botschaft auf einem Server zwischengespeichert, bis sie vom Rezipienten zu einem beliebigen Zeitpunkt abgerufen wird. Das klassische Beispiel dafür ist E-Mail. Weitere Anwendungen sind Mailing-Listen, die Newsgroups des USENET und Online-Foren bzw. Message Boards auf Webseiten. Diese Dichotomie zwischen synchroner und asynchroner computervermittelter Kommunikation ist allerdings mittlerweile mehr theoretisch-technischer als praktisch wahrnehmbarer Art, denn die Grenzen zwischen den einzelnen Systemen verschwimmen zusehends. So ist es z.B. in einigen synchronen Anwendungen möglich, Nachrichten an Teilnehmer zu versenden, die zum aktuellen Zeitpunkt nicht mit dem System verbunden sind:

Q. I want to send a message to my friend who is offline right now. Will he/she still receive my message?
A. Yes. ICQ makes it possible to send messages to an ICQ user even if the recipient is offline when the message is sent. When the recipient logs on, ICQ will attempt to deliver the message.
ICQ Inc. 1998-2003 [keine Paginierung]

In Online-Foren dagegen kann es bei entsprechend reger Beteiligung zu Interaktionen kommen, in denen sich zwei oder mehr Teilnehmer in lediglich etwas verlangsamter Echtzeit synchron miteinander unterhalten .

Eine der ersten Arbeiten, die computervermittelte Kommunikation einer linguistischen Betrachtung unterzieht , ist der bereits 1984 von Naomi Baron verfasste Artikel "Computer-Mediated Communication as a force in language change" . Die erste detaillierte Studie zum Thema IRC ist Elizabeth Reids 1991 erschienene, mittlerweile klassische Honours Thesis Electropolis . Spätestens seit der Mitte der Neunziger ist eine große Zahl von Arbeiten zu verschiedenen Themenbereichen innerhalb des Forschungsfeldes "Computervermittelte Kommunikation" erschienen, darunter ein sehr großer Anteil an Seminar- und Diplomarbeiten (wie auch die vorliegende). Hervorzuheben sind im angelsächsischen Raum das seit 1995 vierteljährlich online publizierte Journal of Computer-Mediated Communication (herausgegeben von Margaret McLaughlin und Sheizaf Rafaeli ) sowie die Sammelbände von Herring (ed., 1996) und Sudweeks et al. (eds., 1998) . Auch die deutschsprachige Linguistik bzw. Germanistik hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt, wie mehrere Sammelbände belegen (Schmitz (ed.) 1995 , Weingarten (ed.) 1997 , Naumann (ed.) 1999 , Kallmeyer (ed.) 2000 , Thimm (ed.) 2000 , Beißwenger (ed.) 2001 ). Eine umfassende und wissenschaftlich fundierte Monographie zur computervermittelten Kommunikation liegt allerdings noch nicht vor.

Obwohl aus nahe liegenden Gründen meist alle Formen von computervermittelten Kommunikation unter einem Titel zusammengefasst werden, muss doch hervorgehoben werden, dass die darin auftretenden Interaktionen keineswegs in einen konzeptuellen Topf geworfen werden dürfen. Obwohl in frühen Werken noch angenommen wurde, dass computervermittelte Kommunikation ein eigenes sprachliches Register von 'elektronischer Kommunikation' bildet, betont Quasthoff bereits 1997: "Den Stil bzw. den 'Rahmen' elektronischer Kommunikation gibt es genausowenig wie die Schriftsprache" (Quasthoff 1997: 29 ) und Herring (o.J.: 13 ) stellt fest, dass "we have come far from the view of CMD [CM Discourse] as a single genre":

In fact, subsequent research has revealed computer-mediated language and interaction to be sensitive to a variety of technical and situational factors, making it far more complex and variable than envisioned by early descriptions.
Herring o.J.: 2

Allgemein ist man heute zu einer differenzierteren Betrachtungsweise dieses Mediums gelangt. So ist in neueren Arbeiten auch kaum mehr die Rede davon, dass computervermittelte Kommunikation eine prinzipiell 'anonyme', 'unpersönliche' und 'verarmte' Kommunikationsform sei. Ein weiterhin nicht überzeugend geklärter Punkt ist die Frage, wie computervermittelte Kommunikation im Allgemeinen und Chat im Besonderen im Hinblick auf Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit einzuordnen ist.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann