Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Grußsequenzen

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Grußsequenzen gehören zu den besonders chattypischen und wichtigen Aktivitäten – sie werden in vielen Channels geradezu zelebriert und teils mit großer Emphase versehen. Es ist nicht ungewöhnlich, Sequenzen wie den folgenden zu begegnen:

(1) NickName1: hi NickName2
NickName3: hi NickName2
NickName2: hi
NickName1: re NickName4
NickName2: reeeeeeeeeeeee nicki4
NickName5: hehe NickName1.
NickName4: reeeeeeeeeeeeeee
NickName1: servas NickName5
NickName1: reeeee NickName6
NickName5: hiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii NickName1
NickName5: busssssssssssssssssssssssssllllllllllllllllllllllllllllllllll
NickName1: reeeeeeeeeeeeeeeeeeee buuuuuuuuuuuuuusssssssssssssssssslllllllllllllllllll

In der Literatur werden vielfältige Gründe dafür genannt, dass dieser Aktivitätstyp in IRC eine so wichtige Rolle spielt. So meint Schulze (1999: 78) , dass man sich erst der Aufmerksamkeit und Kommunikationswilligkeit der als eingeloggt angezeigten Teilnehmer vergewissern muss. Auch für Geers (1999: 94) dienen Grußsequenzen dazu, Gesprächsbereitschaft zu demonstrieren; zudem sind sie wichtig für den "Aufbau einer Subkultur mit stabilen Identitäten" – ein ähnliches Argument wie das von Bays, die erklärt, dass

participants often use greeting patterns (overt openings) to demark a conscious effort towards group adhesion [.]
Bays 1998: section 3.2

Beispiele wie (1) sind Extremfälle, aber keineswegs selten. Zumeist aber folgen Grußsequenzen einem bestimmten Grundmuster, das an Datum (2) zu erkennen ist:

(2) NickName1: hi NickName2
NickName2: hi NickName1
NickName1: wie gehts?
NickName2: bestens nur müd
NickName2: und dir NickName1
NickName1: recht gut danke

Gemäß diesem Grundmuster laufen die meisten Grußsequenzen ab. Sie bestehen also prototypischer Weise aus den folgenden Grundzügen:

A: Gruß
B: Gegengruß
A: Frage nach dem Befinden
B: Antwort
B: Gegenfrage
A: Antwort

Inwieweit das Schema zur Anwendung kommt, ist einerseits von der Lebhaftigkeit der Interaktion abhängig, andererseits von Beliebtheit und Status des begrüßten Teilnehmers. Komplett ausgeführt wird das Schema vornehmlich dann, wenn der Gesprächsstoff gerade unergiebig ist oder der/ die Grüßende in das laufende Gespräch nicht eingebunden ist. Ist gerade eine rege Unterhaltung im Gange, wird dagegen oft nur gegrüßt – die Frage nach dem Befinden kann dann wegfallen. Wird doch nach dem Befinden gefragt, ist zumindest die Gegenfrage fakultativ (eine informelle Zählung ergab aber, dass in über 80% der Fälle, in denen eine Frage nach dem Befinden erfolgt war, auch eine Gegenfrage gestellt wurde). Der Grad der Emphase hängt u.a. von der Bekanntheit und dem Status des Neuankömmlings in der Gruppe ab.

Bei der Betrachtung der Daten erweist sich, dass die Reaktionsrate der Frage nach dem Befinden auch mit der Anrede zu tun hat – wenn der Adressat unklar ist (z.B. weil nur wie gehts geäußert wird), kann es offensichtlich passieren, dass sich niemand angesprochen fühlt. Auch der gegensätzliche Fall ist möglich – dass mehrere Beteiligte die Frage auf sich beziehen und darauf reagieren. Auch wenn es sich dabei um ein Missverständnis handelt, weil tatsächlich nur ein bestimmter Interaktant angesprochen war (und nicht etwa die gesamte Gruppe), werden solche Fälle praktisch nie repariert – jemanden darauf aufmerksam zu machen, dass sein Befinden gar nicht Gegenstand des eigenen Interesses war, wäre auch eine gröbliche Missachtung des positive face des Betreffenden. So kann es u.U. dazu kommen, dass über mehrere Turns hinweg jede Äußerung eines Interaktanten von mehr als einer Person Reaktionen erhält.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann