Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Das Datenmaterial

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Das Korpus der vorliegenden Arbeit besteht aus ca. 40 Protokollen von Chat-Sessions unterschiedlicher Länge (jeweils ca. 100 bis 2500 Zeilen), welche im Januar und Februar 2000 in verschiedenen Channels eines in Wien basierten Chat-Servers stattfanden. Gechattet wird auf Deutsch; ich habe die Originalschreibweise durchgehend beibehalten.

Demographie

Über die demographische Zusammensetzung der Chatgruppe kann nur gemutmaßt werden, da eine dahingehende Untersuchung methodologisch ausgesprochen schwierig gewesen und zudem außerhalb des eigentlichen Fokus dieser Arbeit gelegen hätte, der auf den sprachlichen Realisierungsformen der untersuchten Kontextualisierungshinweise liegt und nicht auf ihrer Zuordnung zu bestimmten Bevölkerungsgruppen. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle lediglich ein auf den Ergebnissen ähnlicher Untersuchungen basierender 'educated guess' gewagt werden.

Eine 1997 von Zimmerl, Panosch und Masser durchgeführte Studie einer anderen deutschsprachigen Chat-Community erbrachte das folgende Ergebnis:

[D]ie meisten Chatter [gehören] der Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren an, 55% sind männlichen Geschlechts. Ungefähr 40% sind Single und leben noch im Elternhaus. 26 bzw. 32% der Teilnehmer haben einen Schulabschluß ohne bzw. mit Abitur und die meisten sind Schüler (25%), Angestellte (34%) oder Studenten (23%).
Zimmerl et al. 1997: Abschnitt 4.2

Schulze (1999: 67) verteilte Fragebögen an 400 deutsche IRC-Nutzer. Von den 104 retournierten Bögen stammten 54 (52%) von Nutzern im Alter von 21 bis 25 Jahren. 28 Nutzer waren zwischen 25 und 30, 15 unter 20 und insgesamt nur 12 zwischen 30 und 40 Jahre alt. 64% waren Studenten (20 Personen davon Informatiker), die über die Universität auf das Internet zugriffen, der Rest etwa gleich auf Akademiker/ Berufstätige und private Internetnutzer verteilt. Etwa 85% der Respondenten waren männlichen Geschlechts – diese ungewöhnlich unausgeglichenen Ergebnisse lassen wohl auf einen gewissen Verzerrungseffekt schließen.

Den österreichischen Ö3-Chat behandelt die Untersuchung von Gabriel (1999: 90f.) . Ihre Respondenten kamen auf ein Durchschnittsalter von 20,6 Jahren, wobei 53% zwischen 14 und 19, 32% zwischen 20 und 25 und nur 14% über 25 waren – über 30 waren gar nur 3 Personen (1%). 46% der Fragebögen wurden von Schülern beantwortet, 29% von Angestellten, 13% von Studenten und 8% von Lehrlingen und anderen Berufsgruppen. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Studien erfragte Gabriel auch die Chathäufigkeit und -Erfahrung: aus den Ergebnissen geht hervor, dass insgesamt 74% der Respondenten mindestens einmal pro Woche am Chat teilnehmen, 24% sogar täglich, und 58% mehr als ein Jahr Chat-Erfahrung haben. Das Geschlechterverhältnis ist mit ca. 2:1 ein wenig ausgewogener als bei Schulze, zeigt aber immer noch einen deutlichen Überhang an männlichen Chat-Teilnehmern. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass die Chatgruppe in den vorliegenden Daten ähnlich zusammengesetzt sein dürfte.

Anonymisierung

Die Frage, ob Chat-Logs anonymisiert werden müssen, ist keineswegs unumstritten. Döring (2001: 160f.) befasst sich mit diesem Thema und kommt zu keinem eindeutigen Schluss. Einerseits

könnte eine rigorose Anonymisierung sowohl hinsichtlich der Namen der untersuchten Chat-Foren als auch der Rechneradressen und Nicknames der Chattenden möglichen Beeinträchtigungen durch unwissentliche Untersuchungsteilnahme entgegenwirken
Döring 2001: 160

andererseits aber "tut [es] zwar dem Datenschutz Genüge",

[o]riginelle Chat-Beiträge bzw. Äußerungen über das Chatten ohne Autorennennung zu publizieren ..., stellt jedoch ggf. eine Urheberrechtsverletzung dar ... .
Döring 2001: 161

Prinzipiell muss man sich, lässt man sich auf diese Form der Kommunikation ein, von vornherein darüber im klaren sein, dass dort jede – nicht geflüsterte – Interaktion eine vollkommen öffentliche ist, die von jedem 'mitgehört' werden kann, sodass auf die Formulierung heikler Inhalte meist verzichtet wird. Die rigorose Anonymisierung von Chatprotokollen bietet zudem nicht zuletzt eine erhebliche forschungspraktische Einschränkung: Schon allein "[u]m die Untersuchungsergebnisse prinzipiell überprüfbar zu halten" (ibid.: 160 ), halten es viele Autoren für unabdingbar, die Bezeichnung der von ihnen untersuchten Chatserver und Channels bekannt zu geben.
Nicknames schließlich sind "als chatspezifisches Ausdrucksmittel Teil des Medientextes" (ibid. ) und eine Veränderung damit problematisch. In der vorliegenden Arbeit etwa wird die Manipulation von Nicknames als wichtiger Kontextualisierungshinweis angesehen und eine Verfremdung nach zwangsläufig arbiträren Gesichtspunkten müsste die Ergebnisse notwendigerweise verfälschen.

Allerdings handelt es sich bei diesen frei wählbaren Pseudonymen auch um eine Form der Selbstpräsentation – Danet, Ruedenberg und Rosenbaum-Tamari (1997: 49) bezeichnen sie als "online plumage" – bei der jedem Teilnehmer freigestellt wird, wie viel von seiner wahren Identität er oder sie den meist gänzlich unbekannten potenziellen Gesprächspartnern über seinen bzw. ihren Nickname offen legen möchte. Meiner Ansicht nach spricht also nicht prinzipiell etwas gegen die Veröffentlichung von Nicknames per se. Es ist sicherlich zutreffend, dass es Stammchattern der von mir untersuchten Kanäle dadurch theoretisch möglich ist, eine oder mehrere der beteiligten Personen zu identifizieren, allerdings ist diese Tatsache allein – dass Äußerungen einer bestimmten Person einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen worden sein könnten – vermutlich noch nicht problematisch genug, um eine Anonymisierung der Pseudonyme zwingend erforderlich zu machen.

Um sicher zu gehen, wurde eine entsprechende Anfrage an die österreichische Datenschutzkommission gestellt (30.09.2002). Aus dem sich daraus entwickelnden Schriftverkehr geht hervor, dass die diesbezügliche Gesetzeslage offensichtlich alles andere als eindeutig ist. Eine rechtlich eindeutige Auskunft konnte auch nach monatelangen Recherchen nicht gegeben werden, deshalb wurde eine Vorgehensweise erarbeitet, die einen Kompromiss zwischen den Interessen des Datenschutzes und den forschungspraktischen Erfordernissen darstellt: Sowohl Nicknames wie auch Äußerungen der Teilnehmer werden unverändert genannt, allerdings in einer Form, die es nicht erlaubt, einen Bezug zwischen den beiden herzustellen. Nicknames werden nur alleine genannt, Ausschnitte aus dem Chatprotokoll werden in der folgenden Weise zitiert:

(1) NickName1: hallo
    NickName2: sers :)

Aufgrund des nicht linearen Aufbaus der Arbeit werden die Beispiele nicht innerhalb der gesamten Arbeit, sondern nur innerhalb der einzelnen Abschnitte fortlaufend nummeriert. Da die zitierten Ausschnitte meist kurz sind (10 Zeilen oder weniger), wurde auch auf Zeilennummern verzichtet. Zeilen, die für das aktuelle Beispiel irrelevant sind, werden im Interesse der Lesbarkeit ohne weiteren Hinweis ausgelassen.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann