Wenngleich nach Goffmans Analyse jede Situation
grundsätzlich durch ihre Rahmung strukturiert wird, so enthält sie doch immer
auch Elemente, die nicht Teil des geltenden Rahmens
sind:
Betrachtet man eine gewöhnliche, in bestimmter Weise gerahmte
Interaktion, so kann man üblicherweise einen Hauptvorgang von einem
außerhalb des Rahmens liegenden Hintergrund von Vorgängen unterscheiden. Dem
Hauptvorgang gilt die Aufmerksamkeit der Beteiligten, alle anderen Vorgänge, die
außerdem noch stattfinden, werden dem untergeordnet, wobei es situationsabhängig
ist, welcher Bereich als Hauptvorgang angesehen wird.
Krallmann et al. [o.J.]: 15/21 (Hervorhebung im Original)

Die Beteiligten ordnen also die Elemente einer Situation beständig in einen
von mehreren Kanälen ein. Jene Klasse von Vorgängen, die innerhalb des geltenden
Rahmens liegen und denen die Aufmerksamkeit der Teilnehmer gilt, nennt Goffman
Hauptkanal (Goffman 1977 [1974]: 233
). Vorgänge auf dem ignorierten
Kanal (ibid.) liegen außerhalb des Rahmens und werden, um keine
Aufmerksamkeit vom Hauptkanal abzuziehen, nicht beachtet – so zumeist bei
kleineren Anpassungen an das körperliche Wohlbefinden wie Räuspern, sich Kratzen
oder die Sitzposition ändern. Diese Fähigkeit zum Ausgrenzen gewisser Eindrücke
wird häufig auch dazu genutzt, um Ereignisse oder Personen, die konventionell
nicht in den vorherrschenden Rahmen passen, systematisch zu ignorieren und
dadurch in den ignorierten Kanal zu schieben – oft geschieht das bei schreienden
Kindern in verschiedenen Veranstaltungen oder bei öffentlichen Auftritten
umstrittener Politiker, die ungeachtet der Zwischenrufe (und im Extremfall
fliegender Eier, Tomaten oder Torten) aus dem Publikum ihre Rede weiterführen
'als wäre nichts geschehen'.
Im Gegensatz dazu können Vorgänge, die sich auf dem verdeckten Kanal
(Goffman 1977 [1974]: 240
) befinden, von den Teilnehmern tatsächlich nicht
wahrgenommen werden (zum Beispiel Vorgänge außerhalb des Blickfeldes der
Beteiligten, aber auch die "inneren Zustände" der Interaktionspartner (ibid.
)).
Täuschungen können nur durch die Existenz dieses verdeckten Kanals zu Stande
kommen.
Für die Face-to-Face-Interaktion nimmt Goffman zudem die Existenz
eines Artikulationsstroms (Goffman 1977 [1974]: 234
) oder (nach Yngve)
backchannels bzw. "rückwärtigen Kanals" (Goffman 1977 [1974]: 238
) an.
Dieser befindet sich in einem anderen Rahmen als der Hauptvorgang, steht also
nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, kann aber auch nicht ignoriert werden,
denn er enthält wichtige Signale für die Strukturierung, und damit die Rahmung,
der Interaktion: zum Beispiel "Erkennungszeichen" (Goffman 1977 [1974]: 234
),
die "Handlungen mit Handelnden in Verbindung bringen" (ibid.
), Signale zum
Sprecherwechsel oder
Rezipienzsignale.
© Alexandra Schepelmann 2002-2003
Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
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