Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Modulation

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Key (dt. Modul) ist Goffmans Begriff für

das System von Konventionen, wodurch eine bestimmte Tätigkeit, die bereits im Rahmen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transformiert wird, das dieser Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligten aber als etwas ganz anderes gesehen wird. Den entsprechenden Vorgang nennen wir Modulation [keying].
Goffman 1977 [1974]: 55f.

Es geht hier also um Vorgänge, die nicht das sind, was sie zu sein scheinen – wobei diese Tatsache allen Beteiligten bekannt ist (andernfalls handelte es sich um eine Täuschung [fabrication]). Die Beispiele für solche keyings sind mannigfaltig: sie reichen von Ritualen und Probedurchläufen über Spiele und Wettkämpfe bis zu Goffmans präferiertem Beispiel, der Theateraufführung. Ebenso wie scherzhafte Streitereien unter Freunden genauso wenig 'wirklich' feindselig sind wie das scheinbare Angriffsverhalten der von Bateson studierten spielenden Affen und Fischotter, so ist ein Mord auf der Bühne meist kein 'richtiger' Mord, und den Fragen nach dem Befinden in Begrüßungsritualen liegt selten ein ernsthaftes Erkenntnisinteresse zugrunde. All diesen Situationen und Aktivitäten ist es gemein, dass sie sich "at one or more removes from the primary framework of actuality" befinden (Burns 1992: 256 ).

Bei den bisher genannten Beispielen wird der zugrunde liegende Vorgang um eine Ebene hinaufmoduliert (upkeying). Dementsprechend gibt es auch den umgekehrten Fall der Heruntermodulation (downkeying), bei der ein transformiertes Stück Realität, zum Beispiel eine Theateraufführung, in einem untransformierten Rahmen interpretiert wird. Ein ausgezeichnetes Beispiel für beide Vorgänge liefert die folgende Szene , ein Ausschnitt aus der historisch-satirischen Fernsehserie Blackadder. Prince George und sein Kammerdiener Blackadder im Theater:

Two actors [Keanrick and Mossop] are on stage ... Keanrick draws his sword and stabs Mossop very unrealistically through the armpit. Prince George is horror-struck. Mossop sinks to the floor. ...
Keanrick: Thy life is forfeit, sir, and at an end. Like our poor play...
He turns to the audience with a grand flourish.
We hope we pleased you, friends.
Prince George answers from the box.
Prince George: Certainly not, you murdering rotter. Guards – arrest that man!
Blackadder: Your Highness – it's only a play.
Prince George: That's all very well but what about the poor fellow who's dead? Saying 'it's only a play' won't feed and clothe the little ones he leaves behind. Call the militia!
Blackadder: But he's not dead: see, he stands, awaiting your applause.
As indeed he does.
Prince George: Oh I say, that's very clever! I thought he was really dead. Bravo! Bravo! ...
Suddenly, a wild-eyed anarchist jumps up on stage. ... He hurls a fizzing bomb into the box and jumps offstage. Prince George catches the bomb in very high spirits.
Prince George: I say, how exciting! The play's getting better and better. Bravo!
Blackadder is sensibly hiding behind the curtains.
Blackadder: It's not a play anymore, sir. Just put the bomb down and make your way quietly to the exit.
Prince George: Oh, Blackadder – you silly old thing – your problem is you can't tell when something's real and when it's not!
There is a very big explosion.
Curtis & Elton 1998 [1987]: 293

Natürlich ist es in diesem Ausschnitt Prince George, der "can't tell when something's real and when it's not" – der also einen primären nicht von einem modulierten Rahmen unterscheiden kann. Zunächst moduliert er den transformierten, 'nicht wirklichen' Mord fälschlich hinunter in einen primären Rahmen. Er missachtet die Konventionen für einen Theaterrahmen, die eine direkte Interaktion zwischen Darstellern und Publikum verbieten, und er reagiert auf das Bühnengeschehen so, wie es der Rahmen für einen wirklichen Mord vorsehen würde: er will den vermeintlichen Verbrecher verhaften lassen. Kurz darauf moduliert er dann die echte Bombe ebenso irrigerweise hinauf in einen Theaterrahmen - der ja unter anderem vorsieht, dass Vorgänge in diesem Rahmen dem Publikum niemals gefährlich werden können.

Durch die Modulation eines Ereignisses bilden sich mehrere Schichten von Rahmen – es sind durchaus auch mehrere Schichtungen möglich und sogar geläufig. Den eigentlichen, untransformierten, zugrunde liegenden Vorgang bezeichnet Goffman als 'Kern' des Rahmens. Dieser ist "im Falle von untransformierten Situationen und Ereignissen mit dem Rand des Rahmens identisch" (Krallmann et al. [o.J.]: 8/21 ). Im Falle eines modulierten Ereignisses wird der Rahmen aber nach seinem äußeren Rand, also nach der Modulation, bezeichnet: also zum Beispiel als Theaterstück (Modulation/ Rand), das von einem Mord (Kern) handelt, und nicht etwa als Mord (Kern), der zufällig auf einer Bühne (Modulation/ Rand) stattfindet.

Auch eine gut gemeinte oder böswillige Täuschung (fabrication) ist eine Art der Transformation von Rahmen. Der Unterschied zur Modulation besteht darin, dass es bei der Täuschung ein oder mehrere 'Opfer' gibt, die die Vorgänge um sie herum für untransformiert halten, und im Gegensatz zum Fall von Prince George, bei dem lediglich ein Rahmungsirrtum vorliegt, wird diese Situation im Falle einer Täuschung von den Urhebern bewusst herbeigeführt.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann