Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Rahmen

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Unter den Konzepten zum Thema "Erwartungsstrukturen" ist frame (Rahmen) der am weitesten verbreitete Begriff. Das Konzept wurde von Gregory Bateson in seinem Aufsatz "A Theory of Play and Fantasy" (erstmals verlesen 1954, erstmals veröffentlicht 1955 und nachgedruckt 1972 im Sammelband Steps to an Ecology of Mind ) für den Gegenstandsbereich der Kommunikation eingeführt. Angeregt durch die Beobachtung spielender Tiere stellt Bateson fest, dass

... play is a phenomenon in which the actions of "play" ... denote ... other actions of "not play". We therefore meet in play with an instance of signals standing for other events... .
Bateson 1972 [1955]: 181

- zum Beispiel:

The playful nip denotes the bite, but it does not denote what would be denoted by the bite.
ibid.: 180

Bateson unterscheidet also beim Tier – und im weiteren Sinne auch beim Menschen – drei Typen von Signalen: Erstens "mood-signs" – äußerlich wahrnehmbare Anzeichen der eigenen Befindlichkeit –, zweitens "messages which simulate mood-signs" und drittens die metakommunikative Gruppe von "messages which enable the receiver to discriminate between mood-signs and those other signs which resemble them" – beispielsweise eben ein Signal vom Typ "This is play" (ibid.: 189 ). Jede derartige metakommunikative Mitteilung, gleich ob explizit oder implizit, konstituiert nach Bateson einen Rahmen: ein psychologisches Konstrukt, das dem Individuum hilft, die in ihm enthaltene Kommunikation als zusammenhängend zu interpretieren, zu bewerten und einzuordnen. Das Konzept ist kein bloßes theoretisches Erklärungsmodell, sondern besitzt "some degree of real existence" (ibid.: 186 ) – vielfach ist der Rahmen auch den Interaktanten selbst durchaus bewusst und wird auch benannt: zum Beispiel als ""play", "movie", "interview", "job", "language" etc." (ibid.: 187 )

Batesons Rahmenkonzept wird von Erving Goffman übernommen und in seinem 1974 erschienenen Werk Frame Analysis (dt.: Rahmen-Analyse [1977]) detailliert ausgearbeitet. Goffman übernimmt das Konzept relativ unverändert – seine eigene Definition ist "brief, to the point of being dismissively curt" (Burns 1992: 248 ):

Und natürlich werde ich den Ausdruck "Rahmen" ("frame") in Batesons Sinne oft gebrauchen. Ich gehe davon aus, daß wir gemäß gewissen sozialen Ordnungsprinzipien für Ereignisse – zumindest für soziale – und für unsere persönliche Anteilnahme an ihnen Definitionen einer Situation aufstellen; diese Elemente, soweit mir ihre Herausarbeitung gelingt, nenne ich "Rahmen". Das ist meine Definition von "Rahmen".
Goffman 1977 [1974]: 19

"So", stellt Burns (1992: 248 ) leicht resigniert fest, "we have perforce to go back to Bateson on framing." Allerdings gibt es, bedingt durch die unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte, einen wesentlichen Unterschied zwischen Batesons und Goffmans Rahmenkonzepten: Bateson, dessen Hauptinteresse der Rolle der Psychiatrie gilt ( "A Theory of Play and Fantasy" wurde zuerst bei einer Konferenz der A.P.A., der American Psychiatric Association, verlesen und schließt mit den Anwendungsmöglichkeiten des Konzepts auf die psychiatrische Praxis) und psychische Erkrankungen auf Störungen der Kommunikation zurückführt, sieht den Begriff im Rahmen der Kommunikationstheorie. Der Soziologe Goffman dagegen verlagert das Konzept auf die allgemeinere Ebene der Organisation von Wissen und Erfahrung (cf. Burns 1992: 248 und 250 ).

Wie lässt sich Goffmans Rahmenkonzept nun definieren? Es handelt sich um ein kognitives Wissenskonstrukt, das dem Individuum hilft, die ihm täglich begegnenden Situationen und Erfahrungen zu erkennen, zu verstehen und zusammenhängend zu interpretieren. Es beinhaltet kulturspezifische Erwartungen zu den anwesenden Teilnehmern und ihrem Verhalten, der physischen Umgebung und jenem Ausmaß an psychologischer Anteilnahme (involvement), das die Interaktanten angemessener Weise an den Tag zu legen haben. Und ebenso wie Rahmen uns helfen, die Welt zu erkennen und zu interpretieren, wird unsere Wahrnehmung der Welt auch durch sie beeinflusst – wir manipulieren unsere Eindrücke so, dass unsere Interpretation der Ereignisse gerechtfertigt erscheint. Den ursprünglichsten Typ von Rahmen, der uns eine geordnete Perzeption der Welt erst ermöglicht, bezeichnet Goffman als primären Rahmen (primary framework).

Trotz der psychologischen Komponente des Rahmenkonzepts gilt Goffmans Interesse nicht der Frage nach Genese und Entwicklung von Rahmen, sondern ihrer Form und Funktion – welche Rahmen gibt es in unserem Kulturkreis, was ist in ihnen enthalten, und – vor allem -: wie werden sie angewandt? In Frame Analysis, "a long and odd book" (Myers [o.J.]: "Frames" ), entwickelt er ein komplexes und durch vielerlei Beispiele aus allen Lebensbereichen und Medien illustriertes System von Transformationen, Modulationen (keys), gut- und böswilligen Täuschungen, Klammern, inneren und äußeren Rahmen, Vorgängen innerhalb und außerhalb des Rahmens (gegliedert in Kanäle) und Rahmenbrüchen. Ein dem Gespräch spezifischer Typ von Rahmen ist das footing (angerissen in Goffman 1977 [1974] , ausgeführt in Goffman 1979 ):

The multiplicity of elements which may compose the social role of speaker ('production format') plus the shifting and somewhat elastic numbers constituting the potential audience ('participation framework') mean that the alignment of speaker to audience may change quite frequently and, consequently, has to be repeatedly defined and redefined. This alignment Goffman calls 'footing'.
Burns 1992: 324f.

Im Kapitel "Footing” (Goffman 1979 ) findet sich auch ein expliziter Verweis Goffmans auf die Linguistik als jene Disziplin, die footings bzw. Rahmungen allgemein beleuchten kann: "linguistics provides us with the cues and markers through which such footings become manifest” (26) ; insbesondere ist davon auszugehen, dass "the paralinguistic markers will figure” (5) , eine Annahme, die durch spätere Untersuchungen zu Kontextualisierungsverfahren deutlich belegt wurde. Trotzdem: "Until now, however, linguists have been slow to justify Goffman's faith in our ability to make framing manifest” (Tannen 1993: 4 ). Da die Theorie der Kontextualisierung zu einem Gutteil auf dem Konzept der Rahmen basiert – allerdings mit verschiedenen Blickwinkeln auf das Verhältnis von Rahmen und Kontext – , soll die vorliegende Arbeit ein kleiner Schritt in diese Richtung sein.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann