Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Kommunikative Inferenz

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Der Prozess der Interpretation, in dem die Gesprächspartner von Kontextualisierungshinweisen auf die Rahmung der Interaktion und die passende Auffassung von Sprechakten schließen, ist als kommunikative Inferenz (conversational inference) "der begriffliche Schlüssel und der sinnstiftende Rahmen der Kontextualisierungstheorie" (Schmitt 1993: 331 ). Gumperz (1982: 153) definiert sie als

the situated or context-bound process of interpretation, by means of which participants in an exchange assess others' intention, and on which they base their responses.

Die Schlüsselbegriffe sind hier "situated", "context-bound" und "intention". Im Gespräch mit Prevignano und Di Luzio (1997: 9) macht Gumperz auf einen wesentlichen Unterschied aufmerksam: "it becomes necessary to distinguish between meaning in the linguist's sense of reference, and situated inferences". Während in einem natürlichen Gespräch Bedeutung sowohl durch Referenz wie auch Inferenz zu Stande kommt, so muss man doch einige wesentliche Punkte im Auge behalten.

Einerseits ist Inferieren in Gegensatz zum Abrufen referenzieller Bedeutung eines Elements nur innerhalb des spezifischen Kontexts möglich, in dem das Element aufgetreten ist ("situated"/ "context-bound"). Ein verwandter Punkt ist, dass auch das Ergebnis der Inferenz, die Interpretation, zu der man schließlich gelangt, nicht objektiv und unabhängig vom Kontext als 'richtig' oder 'falsch' bezeichnet, sondern nur anhand des weiteren Verlaufs der Interaktion beurteilt werden kann:

What distinguishes successful from unsuccessful interpretations are not absolute, context-free criteria of truth value or appropriateness, but rather what happens in the interactive exchange itself, i.e. the extent to which proffered context bound inferences are shared, reinforced, modified or rejected in the course of an encounter.
Gumperz 1982: 171

Zum anderen "beinhaltet [Inferieren] in erster Linie hypothesenähnliche Annahmen hinsichtlich der interaktiven Absichten der Gesprächsteilnehmer" (Schmitt 1993: 335, Hervorhebung A.S. ). Das Ergebnis einer Inferenz ist also immer ein Abschätzen der kommunikativen Intentionen des Interaktionspartners, also was er oder sie mit einer bestimmte Äußerung zu vermitteln oder erreichen sucht ("intentions"). Besonders in jener Klasse von Äußerungen, die in der Sprechakttheorie als 'indirekte Sprechakte' klassifiziert werden, also etwa Ironie oder indirekte Aufforderungen, kann dies von der Proposition erheblich abweichen. Besonders betont wird von Gumperz, dass seinem Ansatz nach jedwedes Verstehen nur mittels Inferenzen in Bezug auf den gesprächsspezifischen Rahmentyp, den activity type, zustande kommt.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann