Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
Kontextualisierungshinweise |
FunktionDas Konzept der Kontextualisierungshinweise, erstmals eingeführt 1976 von
Jenny Cook-Gumperz und John J. Gumperz
Die zentralen Annahmen des Kontextualisierungskonzeptes lassen sich kurz wie folgt beschreiben: Sprecher und Hörer benutzen bestimmte Zeichen (Kontextualisierungshinweise), um auf das für die angemessene Interpretation ihrer Aktivitäten relevante Hintergrundwissen zu verweisen. Erst dann, wenn die aktuelle Verhaltensweise vor dem Hintergrund dieses relevanten Hintergrundwissens gesehen wird, erhält sie ihre spezifische soziale Bedeutung. Sprecher und Hörer signalisieren sich also die für die Interpretation ihres Verhaltens relevanten Kontexte. Kontextualisierungshinweise sind also Zeichen (ihre Form wird weiter unten diskutiert), die es – grob gesprochen – dem Produzenten erlauben, seine kommunikativen Absichten zu signalisieren, indem sie beim Rezipienten einen Interpretationsprozess (kommunikative Inferenz) in Gang setzen. Durch diesen Schlussfolgerungsprozess wird ermittelt, welches der angemessene Rahmen ist, in dem der Produzent seine Aktivitäten vermutlich interpretiert haben möchte – der Rahmen beeinflusst dann die Interpretation jeder einzelnen Äußerung. Ein Beispiel: eine Sprecherin signalisiert einem Hörer durch bestimmte Kontextualisierungshinweise (Lächeln, bestimmte Intonationsmuster,...) einen freundschaftlichen Rahmen. Der Hörer interpretiert dann die solcherart kontextualisierten Äußerungen dementsprechend als freundschaftlich, selbst wenn ihr propositionaler Gehalt anderes vermuten ließe. Wie im Abschnitt Kontextualisierung ausgeführt, können Kontextualisierungsprozesse auf drei Ebenen wirksam werden: Kontextualisierungshinweise können daher die Interpretation einer Äußerung auf diesen drei Ebenen beeinflussen – also etwa: hat der Sprecher seinen Beitrag schon abgeschlossen oder wird er noch etwas hinzufügen (1. Ebene); handelt es sich (beispielsweise) um eine Frage oder eine Aufforderung und wie sollte angemessen reagiert werden (2. Ebene); und schließlich: was bezweckt der Sprecher mit dieser Äußerung und wie ist seine Einstellung zum Gesagten, zur Situation und den anderen Beteiligten (3. Ebene)? All diese Faktoren werden in jeder Interaktion ständig und routinemäßig unter Rückgriff auf Erwartungsstrukturen geklärt. Dass es dabei auch Irrtümer geben kann, steht natürlich außer Frage. FormBezüglich der Form der Kontextualisierungshinweise muss zwischen zwei
Konzeptionen der Kontextualisierungstheorie unterschieden werden. Während in der
weit gefassten Form sämtliche Zeichen, die in irgendeiner Weise auf für die
Interaktion relevantes Hintergrundwissen verweisen, als
Kontextualisierungshinweise gelten können, schränkt die enge Form der Theorie
aus praktischen Gründen
"Contextualization cues” are, generally speaking, all
the form-related means by which participants contextualize language. Given the
general notion of a flexible and reflexive context ... , it is clear that any
verbal and a great number of non-verbal (gestural etc.) signantia can serve this
purpose. There is therefore no a priori restriction to the class of
contextualization cues. However, contextualization research has restricted this
class for practical reasons ... to the class of non-referential, non-lexical
contextualization cues, most notably: prosody, gesture/posture, gaze,
backchannels, and linguistic variation (including "speech styles”). Auer schließt also nur nicht-referentielle und nicht-lexikalische Zeichen in seine Definition von Kontextualisierungshinweise ein. Zwei große Klassen von Möglichkeiten, auf Kontext zu verweisen, fallen nach dieser strengeren Definition nicht in den Aufgabenbereich der Kontextualisierungsforschung: Zum einen all explicit formulations if context ... i.e. prospective or
retrospective statements by participants about what is going to happen or has
happened. Ausgeschlossen wird auch the class of deictics which certainly serve a contextualizing
function in that they locate language in time and space, and therefore construe
the environment ... in which interaction takes place. Explizite Ausformulierungen von Rahmungen und Deiktika sind also keine
Kontextualisierungshinweise im engeren Sinn. Was aber wären dann 'klassische'
Kontextualisierungshinweise? Selting (1995: 19)
Typische Kontextualisierungshinweise in der Face-to-Face-Kommunikation sind also z.B. Elemente aus dem Bereich Gestik und Mimik, prosodische Phänomene und Code-Switching. In der vorliegenden Arbeit werden die im Material auftretenden Typen von Kontextualisierungshinweisen primär nach ihrer Form und sekundär gemäß der Ebene, auf der sie primär oder teilweise wirksam werden, klassifiziert. Eigenschaften1. Kontextualisierungshinweise sind konventionell und kulturspezifisch.Gumperz betont immer wieder, dass our knowledge and use of contextualization cues is a function
of shared interactive history and rests on socially based presuppositions... Gebrauchsweisen und Funktionen von Kontextualisierungshinweisen können daher zwischen einzelnen Kulturkreisen, Sprachgemeinschaften, regionalen und sozialen Varietäten derselben Sprache und sogar Mikrokulturen, Familien und Freundeskreisen voneinander abweichen. Dass es bei (im weitesten Sinne) interkulturellen Kontakten aufgrund
unterschiedlicher Kontextualisierungskonventionen zu Missverständnissen kommen
kann, ist daher nur zu erwarten. Da es sich bei Kontextualisierungshinweisen
aber zum Großteil um ausgesprochen unscheinbare und vor allem unbewusst
angewandte Signale handelt, werden die Gründe für diese Missverständnisse in der
Interaktionspraxis nur höchst selten erkannt. Vermutlich spielen sie eine nicht
unwesentliche Rolle bei der Entstehung nationaler und ethnischer Stereotypen und
Vorurteile. Gumperz selbst, der sich viel mit interkultureller Kommunikation
beschäftigt, bringt etwa das Beispiel eines westindischen Busfahrers in London,
dessen wiederholte Aufforderung an die Fahrgäste, doch bitte passend zu
bezahlen, von diesen als grob, ja drohend empfunden wurde (vgl. Gumperz 1982:
168
Schmitt (1993: 349f.)
2. Kontextualisierungshinweise besitzen keine stabile, kontextunabhängige Bedeutung.The linguistic character of contextualization cues is such
that they are uninterpretable apart from concrete situations. In contrast to
words or segmental morphemes which, although ultimately also context-bound, can
at least be discussed in isolation, listed in dictionaries and explained in
grammars, contextualization phenomena are impossible to describe in abstract
terms. In anderen Worten: es ist nicht möglich, einem Kontextualisierungshinweis eine stabile, kontextunabhängige Bedeutung zuzuordnen. Kontextualisierungshinweise können nicht aufgelistet, definiert, ihr Gebrauch in allgemein gültigen Regeltabellen zusammengefasst und – etwa im Fremdsprechunterricht – auswendig gelernt werden. Kontextualisierungsphänomene sind per definitionem mehrdeutig; welche Funktion sie erfüllen, ist immer nur in der konkreten Situation ihres Auftretens eindeutig bestimmbar. Allerdings gibt es auch hier Abstufungen. Auer (1992: 31f.)
Gut illustriert wird dieses Konzept in der im Abschnitt
Kontextualisierung beschriebenen
Musik-Metapher von Auer (1992: 1ff.)
Für rein oppositive Kontextualisierungshinweise gilt nur Punkt eins, für
solche mit inherent meaning potential gelten beide Punkte. Die Funktionsweise
der ersten Klasse von Kontextualisierungshinweisen vergleicht Levinson (1997:
27)
Beispiele aus der Face-to-Face-Kommunikation finden sich etwa bei Auer
(1992)
3. Kontextualisierungshinweise werden immer redundant eingesetzt.Auers phonetisch nicht unattraktiver Titel "Redundancy of coding and
co-occurrence of cues" (1992: 29
Das Signalisieren solcher Hinweise ist immer redundant organisiert. Dies bedeutet, es gibt immer mehrere, auf unterschiedlichen Ebenen wirksame Hinweise auf relevante Kontexte. Diese Redundanz der Kontextualisierungshinweise ist konventionalisiert, und es existieren kulturspezifische Kookkurenzeinschätzungen hinsichtlich des gemeinsamen Auftretens verschiedener Zeichen. Gumperz geht davon aus, daß die Interpretationen der Teilnehmer auf solchen empirisch nachweisbaren Hinweisen beruhen und daß Wahrnehmungen aufgrund simultaner Informationsverarbeitung auf verschiedenen Ebenen in die Inferenz als Kookkurenzeinschätzungen eingehen. Kontextualisierungshinweise treten also in Face-to-Face-Kommunikation
niemals alleine auf. Die Inferenz, die der Gesprächspartner zieht, basiert immer
auf dem Zusammenwirken mehrerer Kontextualisierungshinweise. Auer (1992: 29f.)
4. Kontextualisierungshinweise sind häufig multifunktional.Ein und derselbe Kontextualisierungshinweis führt oft zu Inferenzen auf
mehreren Ebenen. Auer (1992: 34)
© Alexandra Schepelmann 2002-2003
Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
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