Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
Kontext in der Kontextualisierungsforschung |
Den Grundgedanken der Kontextualisierung definiert Auer so: In most general terms, contextualization ... comprises all
activities by participants which make relevant, maintain, revise, cancel... any
aspect of context which, in turn, is responsible for the interpretation of an
utterance in its particular locus of occurrence. Geht man von einem herkömmlichen, statischen Kontextbegriff als "antecedent
set of assumptions against which a message is construed” (Levinson 1997: 25
if it takes a context to map an interpretation onto an
utterance, how can we extract a context from an utterance before interpreting
it? The idea that utterances might carry with them their own contexts like a
snail carries its home along with it is indeed a peculiar idea if one subscribes
to a definition of context that excludes message content... Das wäre jene Vorstellung von Kontext,
wie sie etwa in der Informationstheorie angenommen wird. In der Pragmatik
dagegen ist es laut Levinson bereits eine wohlbekannte Tatsache, dass eine
derartige strenge Trennung zwischen Text und Kontext nicht der Realität
entspricht. Ein Beispiel: es ist allgemein anerkannt, dass die Verwendung des
definiten Artikels – der/die/das XY – präsupponiert, dass Sprecher und
Hörer ein Hintergrundwissen (einen Kontext) vom Typ "XY existiert"
teilen. Dennoch ist die Verwendung des definiten Artikels gleichzeitig eine
verbreitete Strategie, den Gesprächsteilnehmer erst über die Existenz eines
bestimmten XY in Kenntnis zu setzen – etwa in Meldungen wie Der König von
Tonga trifft am Montag zu einem Staatsbesuch ein (vgl. Levinson 1997: 25
Weitere Beispiele für die Schaffung von Kontext durch Sprache bringt Auer
(1992: 23)
Diese Fälle zeigen, dass eine starre Trennung zwischen Text und Kontext nicht aufrechtzuerhalten ist. Die Konsequenz dieser Erkenntnis ist der Bedarf an einer flexibleren Konzeption von Kontext. Die Beziehung zwischen Text und Kontext ist nicht unilinear in dem Sinne, dass Kontext den Text beeinflusst und nicht umgekehrt, sondern reflexiv: Kontext kann Text mit einschließen und durch Text geschaffen werden. Diesen Anforderungen wird ein herkömmliches Kontextmodell nicht gerecht.
Dennoch haben sich auch Arbeiten, die der Kontextualisierungsforschung nahe
stehen, wie etwa Goodwin & Duranti 1992
Dieses relativ konservative Modell entspricht weitgehend dem
herkömmlichen Konzept von Kontext, das die
zwei Hauptdimensionen "external" bzw. "distal context" sowie
"intra-interactional" bzw. "proximate context" unterscheidet (Schegloff 1992:
195
Daraus folgt also, dass jede noch so objektive Beschreibung des und analytische Bezugnahme auf den external context entweder irrelevant oder von zweifelhafter Validität sein muss: if some "external" context can be shown to be proximately (or
intra-interactionally) relevant to the participants, then its external status is
rendered beside the point; and if it cannot be so shown, then its external
status is rendered equivocal. Aufgrund dieser und anderer Überlegungen
Dieser Ansatz – Kontext als Rahmen – bedeutet nicht, dass die Parameter der Interaktionssituation außer Acht gelassen werden. Im Gegenteil: indem diese Faktoren statt in einer interaktionsexternen Dimension als Elemente der Frames der Interaktanten und damit des proximate context angesehen werden, entfällt das von Schegloff beschriebene Paradoxon. Aus dieser Perspektive liegen nämlich nicht die materiellen Phänomene selbst (wie Zeit, Ort, teilnehmende Personen und ihre Paraphernalien usw.) bzw. ein schwer fassbarer Einfluss, den sie auf das Verhalten der Interaktionsteilnehmer ausüben, im Blickfeld, sondern die Frage, inwieweit sie für die Interaktion überhaupt relevant sind und wie sie von den Teilnehmern inszeniert werden. Dies kann mit den linguistischen Mitteln der Kontextualisierungsanalyse lohnend untersucht werden. In einem für die Interaktion geltenden Rahmen können situative
Faktoren wie Zeit, Ort und handelnde Personen eine Rolle spielen, sie müssen es
jedoch nicht – für den Rahmen 'Plauderei' sind beispielsweise die Erwartungen
bezüglich Ort und handelnder Personen wesentlich unspezifischer als für den
Rahmen 'Predigt' oder 'Gerichtsverhandlung'.
Eine konzise Fassung der vorangegangenen Ausführungen findet sich bei Auer
(1992: 22)
Context, therefore, is not just given as such in an interaction, but is the outcome of participants' joint efforts to make it available. It is not a collection of material or social 'facts' (such as the interaction taking place in such-and-such locality, between such-and-such roles-bearers, etc.) but a (number of) cognitive schema(ta) (or model(s)) about what is relevant for the interaction at any given point in time. Auch wenn sich die ja von Auer vertretene Kontextualisierungsforschung, besonders ihr Begründer John Gumperz selbst, explizit auf Goffmans Frame-Begriff stützt, so divergiert ihre Auffassung der Beziehung zwischen Kontext und Frames doch erheblich von der ursprünglich von Goffman angenommenen. Im Zusammenhang mit dem Rahmenbegriff in der Kontextualisierungsforschung darf auch der Begriff der speech activity nicht unerwähnt bleiben. Wir haben festgestellt, dass ein geeigneter Kontextbegriff flexibel und reflexiv sein muss, also auch von der Interaktion selbst beeinflusst bzw. erst durch sie geschaffen werden kann. Um diesen neu definierten Kontextbegriff zu gliedern, schlägt Auer ein Schema vor, das sich stark von den konventionellen Modellen unterscheidet. Er gründet sein Schema auf dem Grad, zu dem die fraglichen kontextuellen Elemente durch Kontextualisierungsstrategien in der Interaktion selbst hervorgebracht werden können: [W]e may ask if and to what degree a context is amenable to
and dependent on strategies of contextualization at all... in some cases context
is "brought along” and merely has to be indexed in the interaction in order to
become (or remain) relevant, whereas in others, context emerges only as a
consequence of interactants' contextualization work, i.e. is "brought about”
exclusively. ... [Thus], individual contextual frames or schemata can be
characterized by their distance from these two extreme poles of
contextualization. Auers Konzept kann schematisch folgendermaßen dargestellt werden:
Der erste Typ von kontextuellen Rahmen ist "exclusively determined by
participants' intra-episode contextualization work" (ibid.
Zwischen 'brought about' und 'brought along' befindet sich ein Typus von
Kontext, der als "taken for relevant right in the beginning of an episode in the
sense of a "default assignment"" (ibid.
Der dritte Typus von Kontext kann noch weniger herbeigeführt werden als die automatisch zugewiesenen und steht damit dem Pol 'brought along' am nächsten. Hierzu zählen die materielle Umgebung und unveränderliche Charakteristika der Teilnehmer. Diese können vom Kontextualisierungsverhalten der Interaktanten zwar in den Vordergrund gerufen bzw. relevant gemacht, nicht aber selbst hervorgebracht oder verändert werden. Auch wenn bei einem Rahmenwechsel wie dem oben beschriebenen gewisse materielle Faktoren der Umgebung (z.B. die Anwesenheit eines Computers) für die Interaktion irrelevant werden, kann zwar die Kontextualisierung unterbleiben, jedoch nicht das physische Objekt selbst verschwinden. Eine gewisse Inkonsistenz bezüglich dieser Gruppe und eine mögliche Lösung werden im Abschnitt Rahmen und Kontext bei Goffman und in der Kontextualisierungsforschung behandelt.
© Alexandra Schepelmann 2002-2003
Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
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