Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Code-Switching und Style Shifts

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Eine der grundlegendsten Kontextualisierungsstrategien, genauer gesagt eines der Phänomene, die Gumperz zur Entwicklung der Kontextualisierungstheorie angeregt haben, ist das Code-Switching bzw. der strategische Einsatz von Registern bzw. regionalen und sozialen Varietäten. Anders als die Labovsche Schule der Soziolinguistik geht die Kontextualisierungsforschung nach Gumperz davon aus, dass linguistische Variablen nicht bloß eine Folge von sozialen Variablen sind, sondern strategisch eingesetzt werden können. So sind regionale bzw. soziale Varietäten sowie Register kulturspezifisch mit bestimmten Assoziationen – Rahmenstrukturen – besetzt, die durch den Einsatz der betreffenden Varietät bzw. des betreffenden Stils hervorgerufen werden können. Das Lexikon der Sprachwissenschaft (Bußmann 1990: "Code-switching" ) nennt mehrere Möglichkeiten zur Kontextualisierung mittels Code-Switching bzw. Style Shift:

[v]gl. etwa die Kontextualisierung von >>Informalität<< innerhalb formeller Situationen, den Ausdruck unterschiedlicher Beziehungstypen einzelner Gesprächsteilnehmer zueinander (z.B. ein Gespräch zwischen Bekannten und Fremden, in dem die Bekannten untereinander Dialekt, zu den Fremden jedoch Standardsprache sprechen), Hinweise zur Unterscheidung von Ironie vs. Ernsthaftigkeit, von Hintergrundinformation vs. >>eigentlichem<< Anliegen.

In ihrer Arbeit zu Code-Switching zwischen Englisch und Griechisch in E-Mails nennt Georgakopoulou (1997) folgende kontextualisierende Funktionen von Code-Switches:

"Identity construction"

Griechisch und Englisch dienen dazu, verschiedene Aspekte der Identität von Schreiber und Empfänger auseinander zu halten. Sie unterscheiden "personal footings and professional messages" (Georgakopoulou 1997:148 ).

Solidarität

Code-Switches können Facework verrichten. Indem sie das geteilte Hintergrundwissen kontextualisieren, betonen sie Solidarität zwischen den Teilnehmern und appellieren an das positive face des Empfängers (ibid.: 148 ):

It is thus arguable that the redress involved by means of style-shift and code-switches conveys the speaker's desire to reinforce solidarity with the addressee by emphasizing their shared assumptions as members of an in-group ... .
Georgakopoulou 1997: 156

Damit können sie z.B. auch bei potenziell face-threatening acts wie Bitten als Hedges eingesetzt werden.

Humor

Style Shifts haben oft einen humorvollen Effekt. Wenn durch zwei verschiedene Varietäten unterschiedliche, einander widersprechende Rahmen hervorgerufen werden, entsteht oft Humor - "frame-breaking juxtaposition and blending of different semiotic contexts typically introduces a humorous element" (Georgakopoulou 1997: 150 ).

Es ist schwer, in einem rein schriftlichen Medium wie IRC Code-Switches und Style-Shifts eindeutig zu identifizieren. Hier fehlen doch häufig paraverbale Informationen; wie im Kapitel Dialekt und Umgangssprache erwähnt, gibt es zudem für eine wienerisch/ostösterreichische regionale Varietät auf dem Kontinuum zur Umgangssprache, jene Varietät, die in den vorliegenden Protokollen neben einer relativ standardnahen Sprachform am häufigsten verwendet wird, kein eindeutiges Verschriftungssystem, was eine Unterscheidung zwischen den beiden Varietäten erschwert. Leicht zu identifizieren sind Registerwechsel auf den – auch im schriftlichen Medium unproblematischen – Ebenen von Syntax und Lexikon wie im folgenden Beispiel. So befleißigt sich NickName2 im folgenden Ausschnitt eines ausgesprochen gewählten Registers:

(1) NickName1_without_mail kriegt selten welche und fürchtet sich jetzt wieder vor dem kalifen.......
NickName2: hmm
NickName2 wird den kalifen vernichten
NickName1_without_mail: und isnogud! bidde! :-)))))))))) *gg*
NickName2 wird auch isnogud vernichten
NickName2: :-)
NickName1_without_mail: rofl **ggggggggg*** :-))))))))))))) bussi NickName2
NickName2: rebussi :-)

NickName1 laboriert anscheinend an Problemen mit seinem E-Mail-Empfang und hat seinem Pseudonym den Zusatz without_mail angefügt. Da die Anfänge dieser Sequenz leider außerhalb des Protokolls liegen, sind die Gründe für die Anspielung auf den kalifen unklar. Als diese Figur einmal die konzeptuelle Bühne der Interaktion betreten hat, nützt NickName2 sie als Anknüpfungspunkt für eine kurze Performance, indem er/sie sich selbst in bester Comic-Schurken-Manier und in entsprechender Diktion die Absicht zuschreibt, diese offenbar missliebige Persönlichkeit vernichten zu wollen. NickName1 nimmt das Spiel begeistert auf und leistet mit dem Stichwort isnogud seinen Beitrag zur kollaborativen Konstruktion der Performance, die von NickName2 erwartungsgemäß und erfolgreich fortgeführt wird: NickName2 wird auch isnogud vernichten. Der metaphorische Shift in ein unangepasst formelles, 'literarisches' Register trägt dazu bei, die Aktivität als spielerisch zu rahmen – ganz ähnliche Strategien lassen sich in der Face-to-Face-Kommunikation beobachten. Gleichermaßen wird das geteilte Hintergrundwissen um die kulturellen Konventionen literarischer Genres in den Vordergrund gerückt und damit wiederum Solidarität kontextualisiert. Zudem dient der Wechsel natürlich auch dazu, einen humorvollen Effekt hervorzurufen. Nachdem die Episode beendet ist, wechselt NickName2 mit rebussi :-) wieder in ein der Kommunikationssituation angepasstes Register.

Aufgrund der genannten Schwierigkeiten ist aber in den vorliegenden Daten systematisches metaphorisches Code-Switching kaum eindeutig zu identifizieren. Wesentlich einfacher wäre es, läge Code-Switching zwischen unterschiedlichen Sprache vor, wie es etwa in den von Paolillo (1999) bzw. Androutsopoulos & Hinnenkamp (2001) untersuchten zweisprachigen Chat-Kanälen der Fall ist (im von Paolillo untersuchten Channel #india wechselt Englisch mit Hindi, Androutsopoulos und Hinnekamp betrachten die Kanäle #hellas und #turks, in denen auf Griechisch bzw. Türkisch sowie Deutsch kommuniziert wird). Da in den dieser Arbeit zugrunde liegenden Kanälen eine solche Situation aber nicht vorherrscht, können wir höchstens mit jenem Phänomen rechnen, das Hess-Lüttich der computervermittelten Kommunikation im Allgemeinen zuschreibt:

Das "Switchen" zwischen den Codes, das mühelose Würzen des Satzes mit englischen Zutaten ("machen wir den top-bottom approach", "sorry, das hab ich deleted"...) ... der (selbst-)ironische Wechsel zwischen den Stilebenen ..., die routinierte Vermischung der Register ... - Hauptsache "cool", "playing it down", unprätentiös eben bis zur Prätention.
Hess-Lüttich 1997: 234

Der "(selbst-)ironische Wechsel zwischen den Stilebenen" und die "routinierte Vermischung der Register" sind im Chat aufgrund der erwähnten Faktoren und auch wegen des herrschenden Zeitdrucks sowie des konzeptuell mündlichen Charakters der IRC-Kommunikation nur schwer aufzufinden. Das ""Switchen" zwischen den Codes", also der Einsatz des Englischen, sollte aber nicht allzu schwer zu identifizieren sein – allerdings muss nach Betrachtung der Daten Hess-Lüttich widersprochen werden: zumindest in der von mir untersuchten Chat-Gemeinschaft nimmt das Englische als Ressource für Code-Switching nur einen sehr untergeordneten Rang ein. Die Äußerungen der Teilnehmer werden tatsächlich "mühelos" "mit englischen Zutaten" gewürzt, ein begrenztes Inventar von aus dem ja ursprünglich hauptsächlich englischsprachigen Vokabular der Informatik und computervermittelten Kommunikation entlehnten Ausdrücken ganz selbstverständlich und mit meist hohem Integrationsgrad verwendet; bei diesen Fällen handelt es sich aber eher um Fälle von Entlehnungen als von genuinem Code-Switching. Ein tatsächlicher Wechsel ins Englische tritt im Datenmaterial so gut wie nicht auf. Untersuchungen in anderen Kanälen legen zudem nahe, dass das Englische vielfach gar nicht sonderlich erwünscht ist. So ermahnt in den Daten von Androutsopoulos & Ziegler (2003: 262f.) eine Chatterin einen anderen Teilnehmer, der die Anwesenden – nach eigenen Angaben aus "spass" – mit den Formeln "Hi @ all" und "How are u??? :)" begrüßt hat: "es is ein deutscher chan[nel ...] un es gibt hier leute die verstehen kein englisch". Diese spezifische Form des Code-Switching scheint also als Kontextualisierungshinweis zu vernachlässigen zu sein.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann