Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Konvergenz und Divergenz

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Das Konzept der Konvergenz, eingeführt 1973 von Howard Giles , bezieht sich auf das Phänomen, dass Interaktanten in Face-to-Face-Kommunikation verbale bzw. para- und nonverbale Merkmale ihres Diskurses strategisch aneinander angleichen können:

This term refers to the processes whereby two or more individuals alter or shift their speech to resemble that of those they are interacting with. By the same token, divergence refers to the ways in which speakers accentuate their verbal and non-verbal differences in order to distinguish themselves from others.
Thanasoulas 1999: [keine Paginierung; Hervorhebung im Original]

Gabriel (1999: 39) beobachtet, dass in ihrem Datenmaterial sowohl Standard- als auch Dialektgebrauch quasi auf andere Teilnehmer 'abfärbe'. Das geht sogar so weit, dass

für eine Region charakteristische Merkmale ... von anderen Chattern übernommen [werden], so dass es durchaus möglich ist, dass ein Wiener dieselbe Form [nit] beim Chatten verwendet, obwohl ihm dies alltagssprachlich nie in den Sinn käme.
Gabriel 1999: 67

Auch bei Begrüßungssequenzen wird gemäß ihrer Arbeit häufig mit demselben Gruß erwidert, eine Beobachtung, die leicht modifiziert auch für das folgende Datenmaterial gilt. Auch hier wird häufig mit demselben Lexem geantwortet – allenfalls in unterschiedlicher Schreibweise (hi, hiii, hy; servas, servus, sers) –, doch auch auf syntaktischer Ebene treten gerne Übereinstimmungen auf. Auch wenn nicht dasselbe Lexem zur Anwendung kommt, folgt doch einer Begrüßung der Form {Grußwort} {Name} in vielen Fällen eine nach dem gleichen Muster aufgebaute Äußerung. Diese Konvention kann auch weiter ausgebaut werden. Man beachte etwa den parallelen Aufbau der beiden Äußerungen in der folgenden Begrüßungssequenz :

(1) Red^Crisu^Bull: halloo James der Blonde
JamesBlond: sers crisu, rosa stier =)

In diesem Beispiel offenbart sich das konvergente Sprachverhalten in einem parallelen Sprachspiel mit dem Nickname des Gesprächspartners, in dem das betreffende Pseudonym in seine Einzelkomponenten zerlegt und umformuliert wird.

Welche Kontextualisierungsfunktion erfüllen Konvergenzstrategien? Zahlreiche Studien belegen, dass sie in verschiedensten Bereichen "more favorably than dissimilarity in the realms of social attractiveness ..., communication effectiveness..., perceived warmth..., and cooperativeness” (Bunz & Campbell 2002: 8 ) wahrgenommen werden. Gesprächsteilnehmer konvergieren "in order to signal that they are on the same wavelength and wish to maintain good relationships” (Thanasoulas 1999 [keine Paginierung] ); konvergentes Sprachverhalten kann damit als Kontextualisierungshinweis für einen Rahmen von Solidarität angesehen werden.

Obgleich in der untersuchten Chat-Gemeinschaft Solidarität ein wichtiger Wert ist, gilt das auch für Originalität. Einige Chat-Teilnehmer scheinen im Bestreben, ihre idiosynkratischen sprachlichen Merkmale zu bewahren, konvergentes Sprachverhalten bewusst zu vermeiden, so etwa jener Teilnehmer, der einen großzügigen Einsatz von Punkten als typisch für seinen Schreibstil sieht und dieses Charakteristikum trotz des ihn umgebenden weitgehenden Verzichts auf Satzzeichen beibehält. Diese Beobachtung ist allerdings eher als anekdotisch einzustufen – systematische Divergenz wie etwa in den von Androutsopoulos (1998: section 6) untersuchten Fanzines, in denen ein "switch to a regional variety of German" üblicherweise provinzielles Spießertum und damit deutlich eine "distinction from the outgroup" kontextualisiert, konnten in den vorliegenden Daten nicht beobachtet werden.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann