Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Verniedlichung

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Ein augenfälliges Merkmal der Kommunikation in den untersuchten Chat-Interaktionen ist die hohe Frequenz von verniedlichenden Formen. Koseformen von Nicknames sind eher die Regel denn die Ausnahme und entsprechen Diminutiv- bzw. Kosenamen im Real Life – so wie face-to-face Susanne zu Susi und Franz zu Franzi wird, findet man in der Chat-Kommunikation esci (statt EsCuLAp), BuzZzZzZi (statt BuzZzZzZ) und ditschi (statt dj). Was dagegen mehr überrascht, ist, dass in den untersuchten Kanälen auch Wörter des täglichen Gebrauchs mit verniedlichenden/ verkleinernden Morphemen versehen werden können, und zwar nicht nur Nomina, sondern auch Adjektiva und sogar Adverbien. Eine kleine Auswahl von Beispielen:

(1) guddi [gut]

(2) suppi, supi, zupie [super]

(3) leiwi [leiwand]

(4) coolie [cool]

(5) busl, bussl, bussal [bussi]

(6) sersi [servus]

(7) retschal [re]

(8) thxi [thx]

(9) auchi [auch]

Die Verniedlichung geschieht meist durch das Morphem –i, bei Worten mit auslautendem Vokal wie bussi oder re auch durch das süddeutsch/österreichische Diminutivsuffix –l bzw. –al. Diese Formen sind in mehrerer Hinsicht ungewöhnlich: morphonologisch besonders interessant ist die Form retschal als Ableitung des Grußes re, der beim Wiederbetreten eines Channels oder bei der Wiederaufnahme der aktiven Teilnahme an der Interaktion nach einer Pause angewandt wird; in Beispiel (8) wird das Diminutivsuffix an das Kürzel thx gefügt, das aus der englischsprachigen computervermittelten Kommunikation übernommen wurde und für thanks bzw. danke steht, und die Möglichkeit zur Diminutivierung des Adverbs auch würde einen Semantiker vermutlich überraschen.

Um sich an die Funktion dieser Formen anzunähern, lohnt es, den Kontext der genannten Beispiele näher zu betrachten: in den allermeisten Fällen treten solche Diminutive in Grußsequenzen, beim Bedanken und beim Loben auf. So entstammt etwa auch das erwähnte etwas erstaunliche auchi einer Grußsequenz – es ist die Antwort auf die Gegenfrage: Teilnehmer Eins geht es gut, Teilnehmer Zwei auchi.

Bei genauerer Betrachtung fällt auch auf, dass ausschließlich positiv besetzte Wörter einer derartigen Manipulation ausgesetzt werden: eine Form wie *scheißi oder etwas Ähnliches ist nicht belegt und wäre höchstwahrscheinlich nicht denkbar. In der vorliegenden Arbeit soll die Ansicht vertreten werden, dass der Gebrauch von Diminutiven im Datenmaterial als Kontextualisierungshinweis angesehen werden kann. Mithilfe dieses Signals wird die Aktivität als freundschaftlich und die Beziehung zwischen Produzenten und Adressaten als liebevoll kontextualisiert. Auch das Versehen von Lexemen mit Diminutivsuffixen kann also im weiteren Sinne als Kontextualisierungshinweis für eine Atmosphäre der Solidarität angesehen werden.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann