Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
Rezipienzsignale |
AllgemeinesRezipienzsignale gelten
in der Face-to-Face-Interaktion als wichtige
Kontextualisierungshinweise auf
der Ebene des Conversational Management.
Es handelt sich dabei um unauffällige Vokalisationen auf Hörerseite, die dem
Sprecher signalisieren, dass seine Aussagen verstanden wurden und der Hörer
nicht den Wunsch hat, selbst die Sprecherrolle zu übernehmen. Sie werden meist
gleichzeitig zu den Äußerungen des Sprechers oder an TRPs (Transition
Relevance Places) gesetzt, gelten aber nicht als eigener Turn, da der
conversational floor durch sie nicht beansprucht wird. Aus diesem Grund kann
man sie nach Goffman bzw. Yngve (1970)
Hier setzt schon ein grundlegender Unterschied zu IRC an: es gibt im Chat keine Möglichkeit, zwischen Haupt- und Nebenkanälen zu unterscheiden. Einerseits basieren die Mechanismen des Turntaking in der Face-to-Face-Interaktion zu einem Großteil auf para- und nonverbalen Strategien, eine Ebene, die im graphischen Medium Chat nicht zur Verfügung steht. Es ist daher dort nicht möglich, eine Äußerung durch prosodische Markierung, Blickstrategien u. dgl. als dem Backchannel zugehörig zu kontextualisieren – aufgrund der technischen Gegebenheiten hat jede Eingabe im Chat unabhängig davon, wie inhaltsarm oder –reich sie auch sein mag, genau denselben Status und denselben Aufmerksamkeitswert inne. Es ist daher in dieser Kommunikationsform schwierig, zu signalisieren, selbst nicht den Floor zu beanspruchen – weshalb die continuer function (vgl. Abschnitt Backchannels und Rezipienzsignale) der Rezipienzsignale in IRC nur stark eingeschränkt erfüllt werden kann. Andererseits erfordern die medialen Gegebenheiten des Chat, dass in der somatischen Kommunikation unbewusste Signale nur dann übermittelt werden, wenn der Kommunikant sich ihrer bewusst wird und sich bewusst dazu entschließt, sie den Gesprächspartnern zugänglich zu machen. Dies kann bei unerfahrenen Benutzern durchaus zu Problemen führen: If the listener is not providing this feedback information,
the speaker will check to see if he or she is being listened to or ignored.
Newbies are often unaware of the necessity of showing they are listening, as in
r/l
Dies weist bereits auf eine wichtige Funktion von Rezipienzsignalen in IRC hin – die Signalisierung der eigenen Anwesenheit (s. unten). Eine weitere Abweichung zum Konzept der Rezipienzsignale in
Face-to-Face-Kommunikation erwähnt Schönfeldt (2001: 41)
Dem potentiellen Rezipienten einer Äußerung entgeht nämlich
nicht nur der Prozess der Äußerungsproduktion, sondern auch die Tatsache, dass
ein an ihn adressierter Beitrag überhaupt produziert wird. Daher ist es erst nach Abschluss der Äußerung möglich, Aufmerksamkeit und
Verständnis zu signalisieren – was auch tatsächlich geschieht; in den von ihr
untersuchten Daten identifiziert Schönfeldt (2001: 42f.)
FormenDie in den vorliegenden Daten auftretenden Rezipienzsignale lassen sich in zwei Klassen einteilen:
Zu Gruppe a. gehören Verschriftungen von Vokalisationen wie aha, aso und mhm, die nur die Grundfunktion von Rezipienzsignalen erfüllen, nämlich Kenntnisnahme zu signalisieren: dass die Äußerung des Gesprächspartners wahrgenommen und verstanden wurde. Gruppe b. dagegen enthält Rezipienzsignale, die zusätzlich zu dieser metakommunikativen Funktion auch eine Bewertung vermitteln. Diese Gruppe verfügt nicht nur über eine weitaus größere Variationsbreite, sondern auch erheblich mehr einzelne Elemente als Gruppe a. Konkret treten im Datenmaterial die folgenden Typen von Rezipienzsignalen auf:
Selbstverständlich gibt es in dieser Einteilung auch Grenzfälle – das immer wieder auftretende oki beispielsweise kann reine Kenntnisnahme ebenso signalisieren wie Zustimmung. Eine der häufigsten Formen ist hehe. Varianten von *g* und :-) konnten dagegen kaum beobachtet werden. Prototypisch für Rezipienzsignale in der Face-to-Face-Interaktion sind Vokalisationen, die konventionell als hm, mhm oder mmmm transkribiert werden. Wie ist es also zu erklären, dass in IRC der weitaus größte Teil der Rezipienzsignale semantisch wesentlich aussagekräftiger ist? Zum einen mag das daran liegen, dass viel vom semantischen Potenzial von
Lauten wie mhm an die Prosodie gebunden ist
und in einem textbasierten Medium wie IRC nicht vermittelt werden kann. Die
semantische Variabilität von derartigen Vokalisationen ist wesentlich größer als
sie durch die ja durchaus auch bestehenden Konventionen zur Vermittlung von
Prosodie (z.B. Großbuchstaben, Satzzeichen) wiedergegeben werden kann. Ein
weiterer Grund liegt vielleicht bei einem Phänomen, das Wintermantel und
Becker-Beck (1999)
dass bei der computervermittelten Kommunikation, bei der der
Aufwand für einen kommunikativen Akt höher ist als bei der direkten
Kommunikation auch die Schwelle für das Senden von Botschaften höher liegt. Die
Entscheidung, eine Botschaft zu senden, hängt danach von der Relevanz der
Botschaft im Hinblick auf das verfolgte Ziel im Verhältnis zu den damit
verbundenen Kosten ab. Zweifellos gehören die 'klassischen' Rezipienzsignale wie mhm nicht gerade zu den inhaltsstärksten Äußerungen. Da es aufgrund der medialen Gegebenheiten auf der Ebene des Conversational Management aber notwendig ist, regelmäßig die eigene Anwesenheit und Aufmerksamkeit zu demonstrieren (s. unten), könnte der Effekt des höheren messaging threshold im Zusammenwirken mit der Tatsache, dass in IRC ja jede Äußerung im Hauptkanal stattfindet, dazu führen, dass die Teilnehmer im Regelfall inhaltsstärkere Formen bevorzugen – salopp formuliert, nach dem Motto "Wenn schon, denn schon". Reine Rezipienzsignale wie mhm haben in den der vorliegenden Arbeit zugrunde liegenden Daten eine spezielle Funktion, die weiter unten im Abschnitt "Globale Rahmungen" beschrieben wird. FunktionenConversational ManagementDa in IRC keinerlei Möglichkeit besteht, zu überprüfen, ob der
Gesprächspartner den an ihn gerichteten Äußerungen Aufmerksamkeit schenkt bzw.
überhaupt 'in Wirklichkeit' und nicht nur in Form seines weiterhin eingeloggten
Nicknames anwesend ist, kommt Rezipienzsignalen in IRC auf der Ebene des
Conversational Management die
wichtige Funktion zu, eben diese Anwesenheit und Aufmerksamkeit zu beweisen und
damit zu signalisieren, dass der Kommunikationskanal weiterhin offen ist. Wie
bereits oben angesprochen, kann die Unterlassung dessen, "in Form einer Äußerung
oder eines graphischen Zeichens ein >Lebenszeichen< zu geben" (Bader 2002: 60
Globale Rahmungen: Sozialer RahmenBader (2002: 112)
(1) NickName1 sagt: NickName2? NickName2 will offensichtlich vermitteln, dass er nach den vorangegangenen Unterbrechungen jetzt 'ganz Ohr' ist und die Anekdote von NickName1 hören bzw. lesen möchte. Der intensive Einsatz von Rezipienzsignalen betont massiv seine eigene Hörerrolle und erfüllt dadurch zwei Funktionen. Einerseits trägt er durch die Kontextualisierung einer klaren Distribution von Sprecher- bzw. Hörerrolle zur Rahmung der Aktivität als zusammenhängende Erzählepisode bei, eine Aktivität, die vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Teilnehmer für längere Zeit die Sprecherrolle innehat. Diese Rahmung ist im Hinblick auf die vorangegangene Zäsur (und auch einige kürzere Unterbrechungen im Verlauf der Anekdote, die hier nicht eigens markiert sind) besonders relevant. Andererseits vermitteln sie die metakommunikative Botschaft "Ich höre dir zu, ich habe kein Interesse, selbst die Sprecherrolle zu übernehmen, deine Geschichte interessiert mich" und inszenieren dadurch wie so oft in Chat-Interaktionen einen Rahmen von unterstützender Solidarität. Ganz ähnlich ist die Funktion der Rezipienzsignale im folgenden Auszug. Wie bereits erwähnt, fällt in den vorliegenden Daten auf, dass verhältnismäßig inhaltsstarke Formen als Rezipienzsignale zur Anwendung kommen; doch auch graphische Realisationen der für die mündliche Kommunikation typischen Vokalisationen hmm, mhm etc. treten gelegentlich auf. In der folgenden Sequenz versuchen nun drei Chattende, den niedergeschlagenen Teilnehmer NickName2 zu trösten: (2) Gastgeber NickName1 sagt: Wasn los Nicky2 sag mas Wie im vorangegangenen Beispiel konstruieren die Interaktanten auch hier durch den massiven Einsatz von Rezipienzsignalen – hmm, mhm, eh, nagöööööö – einen Rahmen von unterstützender Solidarität, wie er für viele IRC-Interaktionen typisch ist. Die Rezipienzsignale betonen auch in dieser Sequenz die Zuhörerrolle und vermitteln damit die metakommunikative Botschaft "Ich höre dir zu, ich gebe dir Gelegenheit, deine Probleme zu äußern". Gleichzeitig signalisiert die Wahl von inhaltsarmen anstelle von aussagekräftigeren Formen, dass sich der Produzent dieser Elemente zurücknimmt – der Getröstete kontextualisiert damit vielleicht einen Rahmen von Resignation, die Tröstenden stellen in dieser Situation sich selbst in den Hintergrund.
© Alexandra Schepelmann 2002-2003
Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
|