Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Personenbezogene Rahmungen

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Rahmungen mit Personenbezug sind fast immer stark face-relevant. In der Gruppe von Kontextualisierungshinweisen, die derartige Rahmen inszenieren helfen, lassen sich zwei Teilbereiche ausmachen: Kontextualisierungshinweise, die sich auf Rahmungen mit Selbstbezug des Produzenten beziehen und Kontextualisierungshinweise, die die Art der Beziehung zwischen Produzent und Rezipient inszenieren helfen oder auf einen Rahmen von Solidarität innerhalb einer Ingroup verweisen.

Produzentenbezogene Rahmen

Unter der Gruppe von Kontextualisierungshinweisen, die einen auf den Produzenten bezogenen Rahmen verweisen können, finden wir im Datenmaterial Strategien wie die Korrektur eigener Tipp- bzw Rechtschreibfehler, wodurch auch eine möglicherweise irrige Erwartungsstruktur, die sich bei den Rezipienten vielleicht bezüglich Alter, Intelligenz oder Bildungsniveau des Produzenten gebildet haben könnte, korrigiert werden kann. Der Gebrauch der syntaktischen Form des Inflektivs kann dazu dienen, eine gewisse Distanz zwischen Produzent und Sprechakt zu inszenieren. Fragezeichen schließlich können dazu eingesetzt werden, eine Reihe an seelischen Zuständen seitens des Produzenten zu rahmen - von Orientierungslosigkeit über Erstaunen bis zum Erkenntnisinteresse.

Interpersonale Beziehungen und Solidarität

Die Betrachtung der Daten zeigt, dass in der untersuchten Chatgemeinschaft die Vorstellung von Solidarität eine eine äußerst wichtige Rolle spielt. Nach Bays (1998) könnte dieser Umstand mit der Metapher der "virtual community" zusammenhängen. Wie Fisher (1997) feststellt, hat der z.B. dem bekannten Ansatz von Lakoff und Johnson (1980) zugrunde liegende Metaphernbegriff viele Gemeinsamkeiten mit dem Konzept der Erwartungsstrukturen bzw. Rahmen:

(1) [T]hey are a part of the discourse which develops in any given culture, and people learn these frames as they learn to competently participate in that culture; (2) they highlight some aspects of an event or issue to which people apply a frame, while hiding others; (3) they organise experiences, values and beliefs of all members of a culture in a systematic and coherent way; and (4) they are accessible and useful to people in the same culture who ascribe to a wide array of ideologies.
Fisher 1997: paragraph 4.28

Damit eignen sich Metaphern auch besonders gut als konstituierende Basis für Rahmen. Diese Überlegung ist besonders relevant im Zusammenhang mit dem Rahmen 'virtuelle Gemeinschaft'. Diese Metapher, ursprünglich von wenigen Nutzern, dann auch Journalisten zur Beschreibung von computervermittelter Kommunikation angewandt, wird nun nach Bays (1998) von IRC-Anwendern als treffender Überbegriff und interaktiver Mittelpunkt für ihre Aktivitäten betrachtet. Die Teilnehmer rahmen die Gesamtheit ihrer selbst und ihrer Mitinteraktanten als community, als Gemeinschaft, und "organize their activity and their discourse around this common idea" (Bays 1998: section 3:2 ). Die mit dem Begriff 'Gemeinschaft' verbundenen positiven Assoziationen eignen sich besonders gut für eine Beschäftigung, die ausschließlich aus interpersonaler Interaktion besteht.

Allerdings stellt Bays fest, dass die Realisation der Metapher zwar bestimmte, dem Idealbild förderliche Aspekte der von ihr verkörperten Vorstellung hervorkehrt, andere aber herunterspielt oder ganz ignoriert. So wird die Signifikanz der Solidarität und des Zusammenhalts innerhalb der Ingroup unterstrichen, die ebenfalls dem Konzept 'Gemeinschaft' zugehörige Vorstellung von Verpflichtungen und dem Übernehmen von Verantwortung aber hat in den IRC-communities vergleichsweise geringe Bedeutung.

Wie wird nun der Rahmen von Solidarität in den Chat-Interaktionen konkret inszeniert? Eine grundlegende Rolle spielt einmal die durchgängige Wahl des Anredepronomens 'Du'. Solidarität mit einem bestimmten Gesprächspartner kann auch durch Strategien wie dem Einsatz von Farben, besondere Emphase (etwa in Grußsequenzen) oder die Manipulation seines Nicknames hervorgehoben werden. Auffallend häufiger Einsatz von Rezipienzsignalen kann die Bereitschaft signalisieren, den Äußerungen des Interaktionspartners uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu schenken. Orthographische Manipulationen wie die im vorliegenden Datenmaterial häufig vorliegende Verniedlichung auch ungewöhnlicher Lexeme (retscherl, auchi) oder eine Hervorhebung von Alltagswörtern durch ungewöhnliche Schreibweisen (wie z.B. schärtz statt scherz), die möglicherweise mit face-relevanten Aktivitäten in Beziehung steht, können ebenfalls zur Kontextualisierung dieses Rahmens beitragen. Eine wichtige Rolle spielen auch die für computervermittelte Kommunikation typischen Emoticons.

Das Konzept der Solidarität kann auch durch die Inszenierung der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Ingroup forciert werden. Dies geschieht im Datenmaterial vornehmlich durch die Verwendung von an die Lautgestalt einer ostösterreichischen Regionalvarietät angelehnten Schreibweisen und dialektal gefärbte Manipulationen von Nicknames. Auch Konvergenz in verschiedenen Bereichen konnte beobachtet werden. Die Zugehörigkeit zur Ingroup der Chatgemeinschaft kann durch die Verwendung chatspezifischer Akronyme und die syntaktische Form des Inflektiv und ein gemeinsamer kultureller Hintergrund z.B. anhand von konventionalisiertem Code-Switching bzw. Registerwechseln im Zuge spielerischer Aktivitäten demonstriert werden. Die Zugehörigkeit zu einer sehr speziellen Form von Ingroup, nämlich der Subkultur der (Möchtegern-)Computerhacker, kontextualisieren dagegen orthographische Manipulationen wie die Schreibweisen sukker und r00l (für sucker und rule). Die Entscheidung, statt des Nicknames den richtigen Namen eines Gesprächspartners zu verwenden, hat schließlich Auswirkungen auf die Rahmung der Beziehung der Interaktanten als in der realen Welt beheimatet.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann