Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
Emphase |
Zu der Gruppe der Kontextualisierungshinweise, die auf der Ebene von
illocutionary force wirksam werden, gehören jene Konventionen, die einen
Sprechakt als emphatisch hervorgehoben charakterisieren. Puterman (1994)
[W]ays to convey emphasis is [sic] the use of capitals (which
is equivalent to shouting and therefore rather disturbing if overused); reverse,
bold and inverse print;, [sic] use of *'s and _'s and anything else which takes the
creative user's fancy (eg I *have* to go :( ); and different types of banner
fonts. Im untersuchten Datenmaterial spielen dagegen fast ausschließlich
Großschreibung und Reduplikationen (gelegentlich auch der Einsatz von
Farben),
Merkmale, die man (auch im schriftlichen Medium) als suprasegmental bezeichnen
könnte, eine Rolle. Das von Puterman erwähnte Einschließen von Lexemen in
Asteriske besitzt in den Konventionen der untersuchten Chat-Gemeinschaft eine
spezifische Bedeutung, die wohl ursprünglich auf die Verwendung von Asterisken
im Zusammenhang mit Inflektiven zurückgeht: es ist anzunehmen, dass sich die
semantische Komponente der Inflektivkonstruktion sich auf den Gebrauch der
Asteriske übertragen hat. Es ist zwar möglich, eine typographische Form wie *hoffen* in der finiten Verbletztkonstruktion
(1) NickName *hoffen* tut als reines Signal von Emphase anzusehen, wahrscheinlicher ist es allerdings, dass die Asteriske die den Inflektiven eigene deskriptive Bedeutungskomponente vermitteln sollen. Auch Farben können als Signal für Emphase genützt werden; diese Funktion spielt aber nur eine untergeordnete Rolle gegenüber der sehr stark ausgeprägten spielerischen Komponente, die ihr Gebrauch fast immer hat. Bei der Betrachtung der Frage, welche linguistischen Elemente einem Sprechakt
in schriftlicher Kommunikation emphatischen Charakter verleihen, muss die Rolle
der Prosodie einbezogen werden. Auch in medial schriftlicher Kommunikation wird
durch das Phänomen der Subvokalisation die Prosodie in den Produktions- und
Rezeptionsprozess eingebunden. Daher ist anzunehmen, dass zumindest in einem
gewissen Teil der Fälle Hervorhebungsstrategien auf subvokalische Prosodie
zurückgehen und somit die gleiche Funktion erfüllen wie die ebenfalls
suprasegmentalen Merkmale Akzent und Lautstärke im Bereich der
Face-to-Face-Kommunikation. Bader (2002: 103)
Selbst in den Chats werden prosodische Elemente realisiert, insbesondere die Bereiche Akzent und Lautstärke sind davon betroffen, und zwar durch orthographische Mittel[.] So geht auch die in den vorliegenden Daten weitaus häufigste Form, Emphase zu vermitteln, sicherlich auf ein prosodisches Phänomen zurück. Hess-Lüttich formuliert: Die Intensität des Gefühls ... kann ... nach dem
Reduplikationsprinzip mühelos gesteigert werden zu iconischen [sic] Superlativen
und typographischen Hyperbeln[.] Die Reduplikation einzelner Buchstaben basiert mit Sicherheit auf der ikonischen Umsetzung von Lautdehnung. In Beispielen wie den folgenden können die reduplizierten Zeichen als eine Art Umschrift von gedehnten Lauten angesehen werden – besonders deutlich demonstriert in Beispiel (4), einer Transkription einer Zeile aus einem Popsong: (2) jooooooooooo des gfallt mir (3) bisd du narrisch da san heut wieder alle soooooo gesprächig (4) sag mal weinst duuuu oder is das der regen der von deiner nasenspitze tropft....... In einer großen Anzahl weiterer Fälle wird Reduplikation ebenfalls ikonisch angewandt, aber losgelöst von einer möglichen phonischen Realisierung. Äußerungen wie (5) hi mein engeeeeeeeeeellllllllllll rebuuuuuuuusssssssssslllllll würden in Lautsprache mit Sicherheit anders realisiert als die vielfach reduplizierten Lautzeichen suggerieren, und das (nicht ganz salonfähige) (6) FUCCCCCCCCCCKKKKKKKKKKKKKKKK könnte nicht einmal mit gutem Willen so gesprochen werden, wie es geschrieben worden ist. Ähnliches gilt für die verbreitete Reduplikation von Satzzeichen, auch innerhalb von Emoticons. Ein Punkt ist aber Hess-Lüttichs allgemeiner Aussage entgegenzuhalten: Reduplikation hat mit Sicherheit häufig auch eine spielerische Komponente, die nichts mehr mit der "Intensität des Gefühls" zu tun hat, sondern rein auf den Spaß am Spiel mit der "typographischen Hyperbel" zurückgeht. Beispiel (6) demonstriert auch die zweite häufige Methode zur Signalisierung von Emphase, die Verwendung von Großbuchstaben. Bader stellt fest: Primär geht es bei der Verwendung typographischer Mittel
darum, ein bestimmtes Wort bzw. einen Satz, mit dem ein bestimmter Inhalt
verknüpft ist, hervorzuheben. Dies ist auch in Chat-Gesprächen der Fall. Die
Großschreibung erfolgt zur Akzentuierung und Hervorhebung bestimmter Inhalte ...
Sie führt aus, dass die Großschreibung ganzer Worte eigentlich eine Verletzung der orthographischen Normen ist. Eine bewusste Normenverletzung kann aber auch (z.B. in Werbetexten) ein Mittel zur Hervorhebung der Botschaft sein. Datum (9) zeigt ein besonders inhaltsreiches Beispiel für eine solche Hervorhebung. (7) hm i mag das moorhuhnjagd spiel SCHNELL saugen (8) Wir schlafen 60% unseres ganzen LEBENS, ich tue das NICHT !!! (9) NickName1: * NickName2letzterippevonmilkaschenk* NickName1 hat im Zuge einer Pretend-Play-Sequenz die letzte Rippe einer virtuellen Schokoladentafel geschenkt. Als NickName2 diese mit Appetit zu verspeisen vorgibt und mit einem vorbildlich realisierten indirekten Sprechakt eine weitere Portion reklamiert, reagiert NickName1 darauf, indem er dem Gesprächspartner seine eigene Äußerung nochmals vor Augen hält – sie ist mit dem, was einige Turns zuvor auch auf NickName2s Bildschirm zu lesen gewesen ist, identisch, mit Ausnahme der typographischen Hervorhebung des relevanten Wortes: es war die LETZTE Rippe – es ist also nix mehr da. Großschreibung und Reduplikation erfüllen also in vielen Fällen dieselben Kontextualisierungsfunktionen wie erhöhte Lautstärke und Akzentuierung eines Elements in der Face-to-Face-Kommunikation. Das gilt auch für eine verwandte Funktion von Dehnung in somatischer Interaktion – das Signalisieren von Ironie bzw. Sarkasmus. So etwa im folgenden Datum (10): Der Teilnehmer NickName2 befragt die Chatterin NickName1 nach einer Begründung für ihre pessimistische Einschätzung des Geisteszustands ihrer Mutter. Ihre ein wenig tautologische Antwort kommentiert er mit einem lang gezogenen aaaaaaaahja – die Ironie ist hier förmlich hörbar und die Reduplikation offensichtlich als ikonische Wiedergabe eines gedehnten Lautes anzusehen. (10) NickName1: mei mutter spinnt An Beispiel (6) können wir sehen, dass nur eine Methode der Signalisierung
von Emphase für den Produzenten anscheinend nicht ausreichend war, um die
entsprechende "Intensität des Gefühls" (Hess-Lüttich 1997: 235
Die Großschreibung kann, so Bader, sekundär auch als Lautstärke interpretiert werden, wenn man
von einer Anwendbarkeit parasprachlicher Phänomene ausgeht. Ob diese Assoziation mit erhöhter Lautstärke in Face-to-Face-Kommunikation,
wie sie auch Puterman (1994)
(11) NickName HAT MORGEN GEBURTSTAG!!!!!!!!!!!!!! (12) NickName1: bist du etwa noch taufrisch, NickName2? (13) NickName thinks: WER WILL MIT MIR CHATTEN????????????????????? In Datum (13) schreibt die Chatterin sich selbst einen Gedanken zu – den selbstverständlich alle anderen Teilnehmer lesen können. Wozu sollte sie ihn auch sonst eingeben? Indem sie anderen Einblick in ihre Gedanken gewährt, macht sie ihren Wunsch deutlich, ohne ihn im eigentlichen Sinne selbst zu äußern. Offensichtlich möchte sie die Aufmerksamkeit der anderen Teilnehmer auf ihre Äußerung lenken – die durchgängige Verwendung der Großbuchstaben und die vielfache Reduplikation der Fragezeichen kontextualisiert den Sprechakt als dringlich und wichtig. Aber einem Gedanken erhöhte Lautstärke zuzuschreiben, ist selbstverständlich absurd: hier wird die Großschreibung nicht als Signal für bestimmte paralinguistische Merkmale, sondern als konventionelles Zeichen für Emphase eingesetzt. Gerade Reduplikation kann auch als Kontextualisierungshinweis auf einer Rahmenebene dienen. Puterman stellt fest: An easy way to see how popular am IRCer is, is by the way
they are greeted upon joining a channel. The more people who greet, the more
exuberance in "gratuitous hugging", the more exclamations marks there are, and
the more people who auto-op them, the more popular the newcomer is. Hier interessiert besonders die Beobachtung der Autorin zum Thema "exclamation marks”. Auch im vorliegenden Datenmaterial ist eindeutig zu erkennen, dass Reduplikationen gerade in Grußsequenzen besonders häufig auftreten. Einige Beispiele: (14) hiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii NickName *buuuuuuuuuuuuuusssssssssssssssssiiiiiiiiiiiiiiii* (15) serwas NickName bbbbbbbbuuuuuuuuuuuuuuussssssssssssllllll (16) reeeeeeee NickName Auch die Pseudonyme der solcherart Begrüßten werden gerne mit Reduplikationen versehen, des öfteren auf eine phonisch unmöglich realisierbare Weise: (17) NickName: philllllllllllllllllll heu (18) spppppppppeeeeeeeeeeeeeedddddddddddyyyyyyyyy *megabusslummeschupf* (19) cherieeeeeeeeeeeeeeeeeee bbuuussssssssssssssssssssssssi Diese Praxis ist auch nicht auf Begrüßungssequenzen beschränkt, sondern tritt nicht selten auch in Abschiedssequenzen auf. (20) NickName: puuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuunky Putermans Vermutung, dass das Ausmaß der Reduplikation mit dem Status des begrüßten Teilnehmers zusammenhängt, ist zuzustimmen. Reduplikation dient hier eindeutig als Kontextualisierungshinweis für einen personenbezogenen Rahmen. Unterstützt wird diese Hypothese durch die folgende Sequenz, die zeigt, dass dieser Zusammenhang auch den Teilnehmern selbst durchaus bewusst ist: in Datum (21) wird die Chatterin NickName2 von zwei anderen Teilnehmern begrüßt. Sie reagiert persönlich auf beide Begrüßungen: NickName1s Gruß wird mit hiiiiii NickName1 :-)) beantwortet, der Gruß von NickName3 mit hjiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii [sic] NickName3 :-)) – ein Unterschied, der sowohl NickName1 als auch NickName3 als bedeutsam bewusst ist. (21) NickName1: _ BiG _
HeLLo _ To _
YoU _ NickName2 _
! ! ! _
© Alexandra Schepelmann 2002-2003
Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
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