Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann

Emoticons

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Definition

Was sind Emoticons? Das Jargon File definiert den Begriff wie folgt:

An ASCII glyph used to indicate an emotional state in email or news. Although originally intended mostly as jokes, emoticons (or some other explicit humor indication) are virtually required under certain circumstances in high-volume text-only communication forums such as Usenet ; the lack of verbal and visual cues can otherwise cause what were intended to be humorous, sarcastic, ironic, or otherwise non-100%-serious comments to be badly misinterpreted (not always even by newbies), resulting in arguments and flame wars. ... On Usenet, `smiley' is often used as a generic term synonymous with emoticon, as well as specifically for the happy-face emoticon.
Raymond 2002: "emoticon"

'Emoticon' ist also ein Überbegriff für die wohlbekannten Smileys und andere Zeichen(-kombinationen), die – grob gesprochen – dazu dienen, die Interpretation einer Äußerung zu erleichtern. Das Wort setzt sich zusammen aus den Begriffen emotional und icon und bedeutet damit grob übersetzt "Gefühlssymbol" (vgl. Abel 1999: "Emoticon" ). Im Folgenden sollen sowohl Smileys als auch konventionalisierte Akronyme wie *g*, *s* oder lol zu den Emoticons gezählt werden.

Der Smiley

Ursprünge

Der prototypische Smiley wird durch die Zeichenfolge :-) gebildet – eine ursprünglich ganz offensichtlich ikonische Darstellung eines lächelnden menschlichen Gesichts mit den Mitteln des ASCII-Codes. An der Frage, wann der erste Smiley im Netz aufgetaucht ist, scheiden sich die Geister. Während ein gewisser Kevin MacKenzie das Symbol schon am 12. April 1979 vorgeschlagen haben will (vgl. Raymond 2002: "emoticon" ), schreibt die Lehrmeinung die Erfindung Scott Fahlman zu, der 1982 an der Carnegie Mellon University Computer Science unterrichtete. Nicht als einzigem fiel ihm auf, dass es mit den viel frequentierten Online-Bulletin Boards der Universität ein Problem gab:

Given the nature of the community, a good many of the posts were humorous (or attempted humor). The problem was that if someone made a sarcastic remark, a few readers would fail to get the joke, and each of them would post a lengthy diatribe in response. That would stir up more people with more responses, and soon the original thread of the discussion was buried. In at least one case, a humorous remark was interpreted by someone as a serious safety warning.
Fahlman (o.J.) [keine Paginierung]

Um diesem Dilemma zu begegnen, kam jemandem die Idee, als scherzhaft intendierte Postings mit einem eigenen Zeichen zu markieren. Fahlmans diesbezüglicher Vorschlag war derjenige, der sich durchsetzte und heute im Netz allgegenwärtig ist: er erfand den Smiley.

This problem caused some of us to suggest (only half seriously) that maybe it would be a good idea to explicitly mark posts that were not to be taken seriously. After all, when using text-based online communication, we lack the body language or tone-of-voice cues that convey this information when we talk in person or on the phone. Various "joke markers” were suggested, and in the midst of that discussion it occurred to me that the character sequence :-) would be an elegant solution – one that could be handled by the ASCII-based computer terminals of the day. So I suggested that.
ibid.


Die erste Erwähnung des Smileys. Quelle: [30.09.2003]

Fahlman hatte keine Ahnung, wie erfolgreich dieses Symbol tatsächlich werden würde. Bevor im September 2002 nach aufwendigen Recherchen das allererste Smiley-Posting wieder entdeckt wurde, schrieb er mit einem Anflug von Verzweiflung:

I wish I had saved the original post, or at least recorded the date for posterity, but I had no idea that I was starting something that would soon pollute all the world's communication channels.
Raymond 2002: "emoticon”

Tatsächlich füllte der Smiley offensichtlich ein Vakuum in der computervermittelten Kommunikation. Bald verwendeten User in aller Welt das praktische Symbol und modifizierten es nach ihren Bedürfnissen – vielleicht ein Ausdruck von der von Liebsch (1992: 310) georteten "Tendenz zur >>Visualisierung<< der schriftsprachlichen Kommunikation":

Das mentale Erfassen grafischer Zeichenkomplexe, ohne daß bei der Apperzeption eine Lautgestalt materialisiert wird, hat an Bedeutung gewonnen.
Liebsch 1992: 313

Liebsch vermutet, die Menschheit hätte sich

zunehmend die Fähigkeit angeeignet, Bewußtseinsinhalte als gedanklich verarbeitete, anschauliche Vorstellungen zu erfassen, bildlich-zeichengebunden abzubilden bzw. zu exteriorisieren und in natürliche Sprachprodukte zu integrieren.
ibid.

- eine Fähigkeit, die sich möglicherweise auch in der großen Bedeutung der Smileys in der computervermittelten – und zunehmend auch der anderweitigen schriftsprachlichen – Kommunikation manifestiert .

Angesichts dessen ist es nicht zu klären, ob Scott Fahlman tatsächlich der "Erfinder" des Smileys ist – und im Grunde auch unerheblich. Der Kolumnist Achim Killer schreibt aus Anlass des im Jahre 2002 begangenen 'zwanzigsten Geburtstags' des Smileys:

Das alles wird nämlich der Bedeutung dieser historischen Figur nicht gerecht. Die Ursprünge von Hochkulturen pflegen sich nämlich im Laufe der Jahre zu verlieren.

Man sollte deshalb auch nicht vom Geburtstag des Smiley sprechen. - Lieber von seiner ersten urkundlichen Erwähnung.
Killer 2002 [keine Paginierung]

Formen und Häufigkeit

Nur wenige Formen von Smileys sind tatsächlich zahlenmäßig bedeutsam:

  • der freundliche Smiley :-)
  • der traurige oder ärgerliche Smiley :-(
  • Smiley, der die Zunge herausstreckt :-P
  • der 'Zwinkersmiley' ;-)

Gelegentlich begegnet man auch Formen wie >:| (wütender Smiley mit zusammengezogenen Augenbrauen) oder =8-O (Smiley mit zu Berge stehenden Haaren, entsetzt aufgerissenen Augen und offenem Mund). Die 'Nase' – klassischerweise als Bindestrich realisiert – kann allgemein auch durch o dargestellt - :o) – oder ganz weggelassen werden ('midget smileys' – z.B. :) ). Die Klammer (der 'Mund' des Smileys) kann als Ausdruck von Emphase praktisch unbeschränkt redupliziert werden.

Schulze (1999: 76) zählte in einem englischsprachigen Korpus die eingesetzten Smiley-Typen aus. Die überwältigende Mehrheit von über 1300 Belegen nahmen diverse Variationen von :) ein, mit gewaltigem Abstand gefolgt von Abarten von :( mit 192 Belegen und :P mit 84. Dieser gewaltige Überhang an 'freundlichen' Smileys mag ein weiterer Hinweis auf den in Chat-Interaktionen vielfach inszenierten Rahmen von positiver, heiterer Solidarität sein.

Darüber über hinaus kursieren Listen mit Hunderten von "far, far more baroque variations" (Ihnatko 1997: 65 ), die ganz im Sinne des spielerischen Rahmens, der in vielen Formen von computervermittelter Kommunikation herrscht, in ikonischer Weise Gemütszustände und äußere Merkmale des Nutzers oder auch prominente Persönlichkeiten darstellen . Diese werden aber "usually written for the amusement of the sender and not the aid of the reader” (ibid. ) – ein wichtiges Stichwort: die oben erwähnten konventionalisierten Smiley-Formen dienen offensichtlich als Interpretationshilfe für den Leser. So beschreibt Ihnatko (1997: 64) z.B. das Emoticon :-) als

the most useful emoticon of them all, as it prevents people from misinterpreting your message as a genuine insult or a serious answer to something.

Es scheint daher absolut gerechtfertigt, Emoticons der Klasse der Kontextualisierungshinweise zuzurechnen.

Wie bedeutsam sind Smileys tatsächlich? Gabriel (1999: 102f.) befragte Mitglieder einer Gruppe von regelmäßigen Teilnehmern am Chat des österreichischen Radiosenders Ö3 nach ihren Gewohnheiten beim Emoticon-Einsatz. Demnach verwenden 49% der Teilnehmer häufig Smileys, 25% manchmal, 18% kaum und 8% nie. 38% verwenden sie "manchmal" auch außerhalb des Chats, 20% häufig, 21% kaum und 21% nie. Auf die Frage "Wie drückst du deine Gefühle und Stimmungen beim Chatten aus?" (Gabriel 1999: 107f. ) gaben 34% an, sie würden "häufig" Smileys benutzen; 30% setzen dazu häufig "Abkürzungen" wie lol und *g* ein, und 58% der Respondenten gaben an, zu diesem Zweck häufig Inflektive zu nutzen. Gabriels Respondenten scheinen mit dem kommunikativen Potenzial der Emoticons durchaus zufrieden zu sein, denn insgesamt 81% gaben an, ihre "Gefühle und Stimmungen" "immer" oder "meistens" zufrieden stellend und für den Gesprächspartner verständlich vermitteln zu können (Gabriel 1999: 109f. ).

Emoticons als Mimiksubstitut?

Die Substitutionsverfahren des nonverbalen Verhaltens, Actionzeilen, Actionstrips und Emoticons sind im IRC als ein elaboriertes Darstellungssystem vor allem von Mimik und Gestik zu beurteilen. Während Emoticons primär zur Dokumentation von Mimik genutzt werden, wird nonverbales Verhalten in Actionstrips und differenzierter in Actionzeilen transkribiert.
Geers 1999: 92

Diese Einschätzung darf als repräsentativ für die im Großteil der Literatur herrschende Ansicht zitiert werden, dass "emoticons ... represent facial expressions” (Herring o.J.: 11 ). Dies ist aber eine zu stark simplifizierte Darstellung. In Face-to-Face-Interaktion wird kaum so viel gelächelt, gezwinkert oder die Zunge herausgestreckt wie durch den häufigen Emoticon-Einsatz in den meisten Chat-Interaktionen suggeriert werden könnte – nein, die Information, die durch diese Symbole vermittelt werden soll, wird in somatischer Kommunikation auf andere und natürlich viel komplexere Weise kodiert. Und allein die Tatsache, dass sich in Chatgemeinschaften jeweils ein begrenztes Repertoire an regelmäßig genützten Emoticons gebildet hat, spricht dafür, dass Smileys bereits stark konventionalisiert sind. In Bezug auf "soziale Handlungen" im Allgemeinen beobachtet Argyle (1979: 61) :

Neu erlernte Verhaltensmuster sind oft genau überlegt, sie werden aber gewohnheitsmäßig, "spontan" und nicht intentional, wenn sie gut eingeübt sind.

Ganz so weit kann man in Bezug auf den Gebrauch von Smileys wohl nicht gehen; bis zu einem gewissen Grade trifft das aber sicherlich auch auf sie zu – sie sind zu einem konventionellen und bis zu einem gewissen Grad automatisierten Signal geworden. Auch wenn sie ursprünglich ikonisch waren, sind sie mittlerweile also genauso wenig eine reine Abbildung von Mimik bzw. Gestik wie die Gebärdensprache eine Abbildung der Lautsprache ist. Sie entstehen vielmehr aus der gleichen Motivation wie die Mimik und Gestik, die sie ersetzen sollen. Man könnte also sagen, dass sie mittlerweile ein der Mimik gleichwertiges primäres und kein davon abgeleitetes sekundäres System bilden.

Smileys als Kontextualisierungshinweise

In der vorliegenden Arbeit soll die Ansicht vertreten werden, dass Smileys bzw. Emoticons im Allgemeinen als typische Beispiele für Kontextualisierungskonventionen in der Chat-Kommunikation (und zunehmend auch in anderen Kommunikationsformen) angesehen werden können. Autoren und Benutzer sind sich einig, dass sie (abgesehen von den oben erwähnten 'barocken' Varianten) dazu dienen, die Aussagen des Produzenten eindeutig(er) interpretierbar zu machen. Wie sieht es mit den anderen Eigenschaften aus, die wir als für Kontextualisierungshinweise typisch ausgemacht haben?

Dass Emoticons stark konventionalisiert sind, wurde bereits versucht zu zeigen – und ihr Gebrauch variiert von Chatgemeinschaft zu Chatgemeinschaft. Jacobson (1996: 474) stellt fest, dass Menschen Emoticons in Texten ihrer Freunde sicherer interpretieren können als in Texten von Fremden – ein weiterer Hinweis auf ihren Ingroup-spezifischen Status.

Smileys sind zudem kontextabhängig: in den Worten von Auer (1992: 31f.) besitzen sie zwar ein "inherent... meaning potential", das die mögliche Interpretation einschränkt, aber keine stabile, kontextunabhängige Bedeutung. So verweist etwa Thome (2000: 52f.) mit großem Nachdruck darauf, dass das Bedeutungspotenzial von Emoticons nicht generalisiert werden darf; Geers (1999; 90) bemerkt, dass dies nur "innerhalb [des] kommunikativen Zusammenhangs erschlossen werden" kann, und Jacobson (1996: 474) erkennt in ihnen "multivalued signs”, die unter anderem sowohl "literal” als auch "ironic” eingesetzt werden können.

Wie aber treten Emoticons konkret auf? Bevor wir uns der konkreten Bedeutung der einzelnen Formen widmen, können wir ahnlich wie bei den Fragezeichen zwei Verwendungsweisen unterscheiden:

  1. Emoticons, die einen Sprechakt modifizieren
  2. Emoticons, die einen eigenen Sprechakt bilden

Im Abschnitt Fragezeichen wird argumentiert, dass alles, was ein Chatteilnehmer intentional durch Betätigen der Enter-Taste auf dem Bildschirm erscheinen lässt, als eigener Sprechakt mit einem bestimmten kommunikativen Zweck betrachtet werden sollte. Ein allein in einer Zeile stehendes Fragezeichen bezieht sich, so wird angenommen,

nicht auf eine bestimmte Aussage, sondern auf den state of mind des Produzenten. Nicht ein bestimmter Sprechakt wird in Frage gestellt, sondern der Sprecher zeigt damit an, dass er selbst die Orientierung verloren hat: das Fragezeichen ist also nicht sprechaktbezogen, sondern personenbezogen.
vgl. Abschnitt Fragezeichen

Es kann vermutet werden, dass die Sachlage bei den Emoticons ähnlich ist. Wenn wir als Arbeitsdefinition annehmen, dass :-) (im weitesten Sinne) eine positive Emotion zum Ausdruck bringen soll, so bedeutet die oben genannte Behauptung, dass ein sprechaktmodifizierendes :-) tendenziell eine positive Einstellung zum betreffenden Sprechakt signalisiert, ein allein stehendes :-) dagegen, das einen eigenen Sprechakt konstituiert, eher eine positive Emotion von Seiten der Person des Produzenten. So können etwa die drei Belege von :) in den Daten (1) und (2) in etwa mit "Diesen Umstand finde ich erfreulich" umschrieben werden, das analoge :( mit "Diesen Umstand finde ich bedauerlich":

(1) NickName: das petrusscript is besser :)
NickName: is ziemlich nützlich wennst einen benutzer suchst :)

(2) NickName1: NickName2 wie gehts?
NickName2: danke bestens :)
NickName1: so selten da
NickName2: ja leider im stress :(

Belege wie in (3) bis (5) dagegen könnte man mit "Ich meine das nicht böse", "Ich bin amüsiert", "Ich bin in guter Stimmung" umschreiben:

(3) NickName1: es wurde das was gewählt wurde bin erstaunt
NickName2: hehe
NickName2: ich auch
NickName2: und der rest der welt auch
NickName2 :)

(4) NickName1: hi NickName2
NickName2: hiiiiiiii
NickName2: = )

(5) NickName: heut is er wiedermal gut drauf
NickName: :)

Analog können :( bzw. :((( in (6) und (7) mit "Ich fühle mich traurig bzw. verärgert" umschrieben werden:

(6) NickName: bin schon wieder weg
NickName: :(

(7) NickName1: na hilfe
NickName1: die will mei auto ruinieren
NickName2: na gehhh
NickName2: :(((

Eine informelle Zählung ergab, dass vom häufigsten Smiley-Typ :) etwa 60% einen eigenen Sprechakt bilden. Häufig werden solche allein stehenden Smileys von derjenigen Person gebraucht, die auch zuvor am Wort war – also (wie auch in den Beispielen (3) bis (7) sozusagen dem vorangegangenen Sprechakt 'nachgeliefert'. Ob tatsächlich, wie von der oben angeführten Hypothese nahe gelegt, ein funktionaler Unterschied etwa zwischen zwei Begrüßungen wie

(8) NickName1: hi NickName2 :-)

bzw.

(9) NickName1: hi NickName2
NickName1: :-)

besteht, kann an dieser Stelle nicht restlos geklärt werden; es bestehen aber doch konnotative Nuancen, die möglicherweise durch einen Sprechaktbezug einerseits und einen Personenbezug andererseits bedingt sein könnten.

Was signalisieren die einzelnen Typen von Emoticon? Wie erwähnt, kann hier nicht generalisiert werden. Allgemein kann aber behauptet werden, dass die häufigste Form, :-) bzw. :), vielfach dazu verwendet wird, den in Chat-Interaktionen sehr wichtigen Rahmen von Solidarität, einer heiteren bzw. positiven Grundstimmung und einer herzlichen Beziehung zwischen Produzenten und Rezipienten herzustellen. Vielfach kommt er auch in Pretend-Play-Sequenzen und Flirtsequenzen zum Einsatz, wie etwa im Beispiel (10) (in dem zu beachten ist, dass NickName1 weiblich und NickName2 männlich ist ):

(10) NickName1: und ahst an geilen lederstring auch, Nicki2???????
NickName2: Nicki1 so was hab ich ima an aber ned aus Leda :-((
NickName3: jaja
NickName1: wow
NickName1: i kann mi scho nimmer halten
NickName2: sichl warum ned hab nix anders :-))
NickName2: hehe na dann lass aus :-)
NickName1: *umgfalln*
NickName2 fangt dich :-)

Beinahe schon obligatorisch ist ein großzügiger Einsatz von :-) in Grußsequenzen wie (8) und (9). Je beliebter der begrüßte Teilnehmer, desto mehr Emphase (meist ausgedrückt durch Reduplikation von Zeichen in den Grußworten bzw. des Smiley-'Mundes') fließt in der Regel in seine Begrüßung ein.

Der 'die Zunge herausstreckende' Smiley :-P wird oft als Reaktion auf eine Frotzelei gesetzt, wie in Datum (11), in dem ein wichtiger Statusfaktor im Chat, der Rang eines Teilnehmers gemäß den bereits von ihm produzierten Wörtern, angesprochen wird. NickName1 hat zu seiner freudigen Überraschung festgestellt, dass er bereits auf einem Rang uhu = unter hundert :)) liegt, was auch NickName2 zu freuen scheint – es ist ja nicht so schlimm wie vermutet. NickName3 dagegen vermutet in frotzelnder Weise, dass NickName1 vermutlich auf Rang 99 liegt, eine bösartige Unterstellung, die NickName2 ihm spaßhaft übel nimmt. Die Sequenz kulminiert in einem gegenseitigen Zungezeigen – bzw. der Signalisierung jener Emotion, die in unserem Kulturkreis üblicherweise durch Zungezeigen dargestellt wird.

(11) NickName1: uhu = unter hundert :))
NickName2: na bitte nicht so schlimm ;-))))
NickName3: 99
NickName3: :)
NickName1: 74
NickName2: also bitte NickName3 tztztztz :-)))
NickName3: :-P
NickName2: :-P

Der 'traurige' oder 'ärgerliche' Smiley gehört ebenfalls zu den selteneren Emoticons – vermutlich, weil Trauer oder Ärger schlecht in den immer wieder evozierten Rahmen von Solidarität und Freundschaft passt. Oft wird er für mildes Bedauern oder Frustration eingesetzt wie in (12) und (13) oder überhaupt moduliert verwendet, z.B. in Pretend-Play-Sequenzen.

(12) NickName1: hm ich mag das moorhuhnjagd spiel SCHNELL saugen
NickName1: weiss jemand wo?=
NickName2: www.moorhuhn.de
NickName1: da saug i so langsam :(

(13) i sogs eich i zuck no aus mim linux :-(

Der 'Zwinkersmiley' ;-) findet in den vorliegenden Daten wesentlich seltener Verwendung. Sein Einsatz scheint stark idiosynkratisch bedingt zu sein. Seine Funktion ist etwa zwischen :-) und *g* angesiedelt; eine gewisse Ambiguität, die vielleicht für seine geringere Frequenz verantwortlich ist. Oft kontextualisiert er auch einen spielerischen Rahmen oder eine Frotzelaktivität. Die Daten (14) und (15) demonstrieren seine Verwendungsweise:

(14) NickName1: wie war der tag bis jetzt Nicki2?
NickName2: ganz okay NickName1 und deiner?
NickName1: fad ;-)
NickName2: warum NickName2 was hast gemacht ?
NickName1: nix, das ist es ja ;-)

(15) NickName1: wo sind hier nette mäderln ??????????
NickName2: ich sehe auch keine ;-))))

In vielen Smiley-Sammlungen wird der 'Zwinkersmiley' ;-) als Kennzeichen für Ironie geführt (vgl. z.B. Abel 1999: 95 ). In den vorliegenden Daten trifft das aber nur teilweise zu. Wie erwähnt, tritt ;-) im Datenmaterial verhältnismäßig selten auf, kontextualisiert oft einen spielerischen Rahmen bzw. eine Frotzelaktivität und ist ganz sicher wesentlich seltener als alle Belege für Ironie. Bei näherer Betrachtung der Daten zeigt sich, dass Ironie – eine scheinbar negative Aussage, die aber 'nicht böse gemeint' ist – sehr oft anhand des üblichen 'freundlichen' Smiley :-) markiert wird. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass das Emoticon in diesen Fällen nicht die Funktion eines klaren Ironiesignals erfüllt, sondern lediglich allgemein der Rahmen einer positiven Sprechereinstellung und freundschaftlichen Interaktion signalisiert – was im Zusammenhang mit der ironisch gemeinten Äußerung, etwa einer spaßhaften Beleidigung, beim Rezipienten zu einer Inferenz nach dem Schema "X beleidigt mich UND X ist mir freundlich gesonnen --> eine Beleidigung von X ist scherzhaft bzw. ironisch gemeint" führen könnte.

Sarkasmus dagegen – eine vermeintlich positive Aussage, die negativ intendiert ist – wird dagegen in den Daten oft gar nicht markiert (z.B. NickName3s sarkastisches jaja in Beispiel (10)) oder durch Transkription von phonetischen Merkmalen, die in der Face-to-Face-Interaktion zur Kennzeichnung von Sarkasmus dienen können wie etwa Längung von Vokalen (z.B. jaaaaa, glaub ma sofort).

Im interessanten Ansatz von Rosenau (2001) , der IRC als Modulation von Face-to-Face-Interaktion ansieht, werden Wechsel zwischen den beiden Rahmen – Face-to-Face-Interaktion und IRC – oft durch Emoticons markiert. Diese Beobachtung konnte in den vorliegenden Daten nicht eindeutig nachgewiesen werden; einerseits sind Smileys so häufig, dass kaum eine Sequenz ohne sie auskommt, andererseits sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Rahmungen so flüssig, dass konkrete Wechsel kaum eindeutig nachzuweisen sind.

Gelegentlich können Smileys auch als Rezipienzsignale eingesetzt werden; gewisse Beobachtungen sprechen dafür, dass sie funktional mit Satzzeichen verwandt sein könnten.

Andere Emoticons

Eine informelle Zählung im vorliegenden Datenmaterial ergab die folgende 'Hitliste' von anderen Emoticons (abgesehen von Smileys):

  1. hehe
  2. lol
  3. rofl
  4. *g*
  5. *fg*
  6. muhahaha

lol ist ein Akronym für laughing out loud, rofl für rolling on (the) floor laughing. *g* steht für den Inflektiv grins und *fg* für frech bzw. fies grins. muhahaha und ähnliche Formen sind 'phonetische' Transkriptionen von Gelächter ähnlich wie hehe.

All diese Formen signalisieren auf irgendeine Art und Weise Amüsement, entweder über einen eigenen oder einen fremden Beitrag, möglicherweise auch über die gesamte Interaktion. Es wurde versucht, eine tendenzielle Klassifikation dieser oberflächlich semantisch ähnlichen Formen vorzunehmen, um etwaige funktionale Unterschiede festzustellen. Hier zeigte sich, dass lol und rofl im Großteil der Fälle eindeutig auf einen fremden Beitrag bezogen sind; *g* modifiziert tendenziell eher einen eigenen Beitrag, und hehe ist ausgesprochen vielseitig – eine konkrete funktionale Eingrenzung konnte für diese Form nicht vorgenommen werden. Intuitiv besitzt hehe eine gewisse kommentierende Funktion – man selbst oder ein Gesprächspartner kommentiert damit eine vorangegangene Äußerung. Die folgenden Beispiele sollen dies illustrieren:

(16) NickName1: ups na das ging jo schnell
NickName1: hehe

(17) NickName1: ES IS 18:21 UHR
NickName1: zeit für
NickName1: BUUUUUUUUUUUSSSSSSSSSSSLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLL mädls
NickName1: hehe

(18) NickName1 hat einen neuen Namen: NickName2.
NickName3: super nick heast
NickName3: *g*
NickName2: hehe

(19) NickName1: miad bin i....
NickName1: i was...des is eich wurscht
NickName2: hehe

(20) NickName1: i kenn jo ned olle kürzel
NickName1: sorry
NickName2: darum hab i das ja gesagt
NickName2: :o)
NickName2: damit du auch unter den wissenden bist
NickName2: hehe

lol und rofl dagegen signalisieren anscheinend echtes Amüsement (vielleicht auch gelegentlich 'soziales Lachen'):

(21) NickName1 grüsst jetzt nimmer
NickName1: wird jo fad mit der zeit *ggg*
NickName2: lol Nick1

(22) NickName1 hat einen neuen Namen: ickName[awa]y1.
NickName2: lol
ickName[awa]y1: grml
NickName2: ickName?

(23) NickName1: dumdidum
NickName2: jop mir auch fad sein
NickName3: llllllloooooooooooolllllll
NickName1: dumdideldei
NickName4: na geh Nicki2
NickName2: wohin NickName4
NickName4: lol I man wegen dem fad sein

(24) NickName1: [URL] Bilder vom letzten Treffen eingetroffen :o))) und ned vergessen in das Gästebuch einzutragen :o))
NickName2: was kriegt man fürr die eintragung?
NickName3: nix
NickName4: rofl
NickName3: absolut nix
NickName4: nix haben willst a no was?
NickName3: doch
NickName4: rofl
NickName5: an feuchten händedruck
NickName4: na ned mal den
NickName3: du bist dann im gästebuch vom Nick1
NickName4: rofl
NickName4: genau

(25) NickName1: wo sind die anderen?
NickName2: keine ahnung
NickName1: hallooooooooooooooooooooooooooooo leute wo seid ihr?
NickName3: daham
NickName2: rofl

(26) NickName1: teile des 2. bez. gehören schon zu österreich
NickName2: rofl

*g* und seine Varianten *fg*, *sfg* (sehr frech/ fies grins) usw. modifizieren meist einen eigenen Beitrag. Meist bringt es einen Rahmen hervor, der von einer gewissen Unverschämtheit oder Doppeldeutigkeit gekennzeichnet ist – oft finden wir diese Formen in Frotzelaktivitäten:

(26) NickName1: tja ich hab schon einiges gemacht NickName2 *fg*
NickName2: uiuiui, erzähl *ggg*
NickName1: sei nicht so neugierig *g*
NickName2: doch, also spucks aus
NickName2: *lauscherausfahr*
NickName2: ui, dauert lange – muss viel passiert sein *sfg*

(27) NickName1_gleiwidada hat einen neuen Namen: NickName1_noned_da
NickName2: warum bist no net do
NickName1_noned_da: weil ich noch packen muss. *gg*

(28) NickName1: hiiiiiiiiiii meine süßen, busssssssl
NickName2: hiiiiiiiiiii schwiegermama *gg*

muhahaha schließlich ist eine vielleicht der Gamer-Subkultur entlehnte Form von 'evil laugh' – sie wird genützt, um bösartiges Gelächter zu signalisieren, wie im folgenden Cyberstreit, der auch im Abschnitt Inflektive erwähnt wird:

(29) NickName1: muahaha
NickName1: *railgunauspack*
NickName2: *baseballschlägerzück*
NickName1: *abdrück*
NickName2: *aushol*
NickName2: muha
NickName2: *dasnasenbeinzertrümmer*

(30) NickName3: argl habts an cybastreit?
NickName2: nope
NickName2: wie kommst darauf?
NickName2: bruhahaha cyberstreit...
NickName4: muh muh
NickName4: :-))
NickName2: muhaha

Es steht den Chatteilnehmern aus der untersuchten Gemeinschaft also ein fixes und durchaus funktional differenziertes Repertoire von Signalen zur Verfügung, um die in diesem Medium fehlenden para- und nonverbalen Hinweise zu ersetzen und die Interpretation von Sprechakten und den kommunikativen Intentionen der Interaktanten zu desambiguieren.


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© Alexandra Schepelmann 2002-2003

Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann