Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
Emoticons |
DefinitionWas sind Emoticons? Das Jargon File definiert den Begriff wie folgt: An ASCII glyph used to indicate an emotional state in email
or news. Although originally intended mostly as jokes, emoticons (or some other
explicit humor indication) are virtually required under certain circumstances in
high-volume text-only communication forums such as Usenet
'Emoticon' ist also ein Überbegriff für die wohlbekannten Smileys und andere
Zeichen(-kombinationen), die – grob gesprochen – dazu dienen, die Interpretation
einer Äußerung zu erleichtern. Das Wort setzt sich zusammen aus den Begriffen
emotional und icon und bedeutet damit grob übersetzt "Gefühlssymbol"
(vgl. Abel 1999: "Emoticon"
Der SmileyUrsprüngeDer prototypische Smiley wird durch die Zeichenfolge :-) gebildet –
eine ursprünglich ganz offensichtlich ikonische Darstellung eines lächelnden
menschlichen Gesichts mit den Mitteln des ASCII-Codes. An der Frage, wann der
erste Smiley im Netz aufgetaucht ist, scheiden sich die Geister. Während ein
gewisser Kevin MacKenzie das Symbol schon am 12. April 1979 vorgeschlagen haben
will (vgl. Raymond 2002: "emoticon"
Given the nature of the community, a good many of the posts
were humorous (or attempted humor). The problem was that if someone made a
sarcastic remark, a few readers would fail to get the joke, and each of them
would post a lengthy diatribe in response. That would stir up more people with
more responses, and soon the original thread of the discussion was buried. In at
least one case, a humorous remark was interpreted by someone as a serious safety
warning. Um diesem Dilemma zu begegnen, kam jemandem die Idee, als scherzhaft intendierte Postings mit einem eigenen Zeichen zu markieren. Fahlmans diesbezüglicher Vorschlag war derjenige, der sich durchsetzte und heute im Netz allgegenwärtig ist: er erfand den Smiley. This problem caused some of us to suggest (only half
seriously) that maybe it would be a good idea to explicitly mark posts that were
not to be taken seriously. After all, when using text-based online
communication, we lack the body language or tone-of-voice cues that convey this
information when we talk in person or on the phone. Various "joke markers” were
suggested, and in the midst of that discussion it occurred to me that the
character sequence :-) would be an elegant solution – one that could be handled
by the ASCII-based computer terminals of the day. So I suggested that.
Fahlman hatte keine Ahnung, wie erfolgreich dieses Symbol tatsächlich werden würde. Bevor im September 2002 nach aufwendigen Recherchen das allererste Smiley-Posting wieder entdeckt wurde, schrieb er mit einem Anflug von Verzweiflung: I wish I had saved the original post, or at least recorded
the date for posterity, but I had no idea that I was starting something that
would soon pollute all the world's communication channels. Tatsächlich füllte der Smiley offensichtlich ein Vakuum in der
computervermittelten Kommunikation. Bald verwendeten User in aller Welt das
praktische Symbol und modifizierten es nach ihren Bedürfnissen – vielleicht ein
Ausdruck von der von Liebsch (1992: 310)
Das mentale Erfassen grafischer Zeichenkomplexe, ohne daß bei
der Apperzeption eine Lautgestalt materialisiert wird, hat an Bedeutung
gewonnen. Liebsch vermutet, die Menschheit hätte sich zunehmend die Fähigkeit angeeignet, Bewußtseinsinhalte als
gedanklich verarbeitete, anschauliche Vorstellungen zu erfassen,
bildlich-zeichengebunden abzubilden bzw. zu exteriorisieren und in natürliche
Sprachprodukte zu integrieren. - eine Fähigkeit, die sich möglicherweise auch in der großen Bedeutung der
Smileys in der
computervermittelten – und zunehmend auch der anderweitigen
schriftsprachlichen – Kommunikation manifestiert
Angesichts dessen ist es nicht zu klären, ob Scott Fahlman tatsächlich der "Erfinder" des Smileys ist – und im Grunde auch unerheblich. Der Kolumnist Achim Killer schreibt aus Anlass des im Jahre 2002 begangenen 'zwanzigsten Geburtstags' des Smileys: Das alles wird nämlich der Bedeutung dieser historischen
Figur nicht gerecht. Die Ursprünge von Hochkulturen pflegen sich nämlich im
Laufe der Jahre zu verlieren. Formen und HäufigkeitNur wenige Formen von Smileys sind tatsächlich zahlenmäßig bedeutsam:
Gelegentlich begegnet man auch Formen wie >:| (wütender Smiley mit zusammengezogenen Augenbrauen) oder =8-O (Smiley mit zu Berge stehenden Haaren, entsetzt aufgerissenen Augen und offenem Mund). Die 'Nase' – klassischerweise als Bindestrich realisiert – kann allgemein auch durch o dargestellt - :o) – oder ganz weggelassen werden ('midget smileys' – z.B. :) ). Die Klammer (der 'Mund' des Smileys) kann als Ausdruck von Emphase praktisch unbeschränkt redupliziert werden. Schulze (1999: 76)
Darüber über hinaus kursieren Listen mit Hunderten von "far, far more baroque
variations" (Ihnatko 1997: 65
the most useful emoticon of them all, as it prevents people from misinterpreting your message as a genuine insult or a serious answer to something. Es scheint daher absolut gerechtfertigt, Emoticons der Klasse der Kontextualisierungshinweise zuzurechnen. Wie bedeutsam sind Smileys tatsächlich? Gabriel (1999: 102f.)
Emoticons als Mimiksubstitut?Die Substitutionsverfahren des nonverbalen Verhaltens,
Actionzeilen, Actionstrips
Diese Einschätzung darf als repräsentativ für die im Großteil der Literatur
herrschende Ansicht zitiert werden, dass "emoticons ... represent facial
expressions” (Herring o.J.: 11
Neu erlernte Verhaltensmuster sind oft genau überlegt, sie werden aber gewohnheitsmäßig, "spontan" und nicht intentional, wenn sie gut eingeübt sind. Ganz so weit kann man in Bezug auf den Gebrauch von Smileys wohl nicht gehen; bis zu einem gewissen Grade trifft das aber sicherlich auch auf sie zu – sie sind zu einem konventionellen und bis zu einem gewissen Grad automatisierten Signal geworden. Auch wenn sie ursprünglich ikonisch waren, sind sie mittlerweile also genauso wenig eine reine Abbildung von Mimik bzw. Gestik wie die Gebärdensprache eine Abbildung der Lautsprache ist. Sie entstehen vielmehr aus der gleichen Motivation wie die Mimik und Gestik, die sie ersetzen sollen. Man könnte also sagen, dass sie mittlerweile ein der Mimik gleichwertiges primäres und kein davon abgeleitetes sekundäres System bilden. Smileys als KontextualisierungshinweiseIn der vorliegenden Arbeit soll die Ansicht vertreten werden, dass Smileys bzw. Emoticons im Allgemeinen als typische Beispiele für Kontextualisierungskonventionen in der Chat-Kommunikation (und zunehmend auch in anderen Kommunikationsformen) angesehen werden können. Autoren und Benutzer sind sich einig, dass sie (abgesehen von den oben erwähnten 'barocken' Varianten) dazu dienen, die Aussagen des Produzenten eindeutig(er) interpretierbar zu machen. Wie sieht es mit den anderen Eigenschaften aus, die wir als für Kontextualisierungshinweise typisch ausgemacht haben? Dass Emoticons stark konventionalisiert sind, wurde bereits versucht zu
zeigen – und ihr Gebrauch variiert von Chatgemeinschaft zu Chatgemeinschaft.
Jacobson (1996: 474)
Smileys sind zudem kontextabhängig: in den Worten von Auer (1992: 31f.)
Wie aber treten Emoticons konkret auf? Bevor wir uns der konkreten Bedeutung der einzelnen Formen widmen, können wir ahnlich wie bei den Fragezeichen zwei Verwendungsweisen unterscheiden:
Im Abschnitt Fragezeichen wird argumentiert, dass alles, was ein Chatteilnehmer intentional durch Betätigen der Enter-Taste auf dem Bildschirm erscheinen lässt, als eigener Sprechakt mit einem bestimmten kommunikativen Zweck betrachtet werden sollte. Ein allein in einer Zeile stehendes Fragezeichen bezieht sich, so wird angenommen, nicht auf eine bestimmte Aussage, sondern auf den state of
mind des Produzenten. Nicht ein bestimmter Sprechakt wird in Frage gestellt,
sondern der Sprecher zeigt damit an, dass er selbst die Orientierung verloren
hat: das Fragezeichen ist also nicht sprechaktbezogen, sondern personenbezogen. Es kann vermutet werden, dass die Sachlage bei den Emoticons ähnlich ist. Wenn wir als Arbeitsdefinition annehmen, dass :-) (im weitesten Sinne) eine positive Emotion zum Ausdruck bringen soll, so bedeutet die oben genannte Behauptung, dass ein sprechaktmodifizierendes :-) tendenziell eine positive Einstellung zum betreffenden Sprechakt signalisiert, ein allein stehendes :-) dagegen, das einen eigenen Sprechakt konstituiert, eher eine positive Emotion von Seiten der Person des Produzenten. So können etwa die drei Belege von :) in den Daten (1) und (2) in etwa mit "Diesen Umstand finde ich erfreulich" umschrieben werden, das analoge :( mit "Diesen Umstand finde ich bedauerlich": (1) NickName: das petrusscript is besser :) (2) NickName1: NickName2 wie gehts? Belege wie in (3) bis (5) dagegen könnte man mit "Ich meine das nicht böse", "Ich bin amüsiert", "Ich bin in guter Stimmung" umschreiben: (3) NickName1: es wurde das was gewählt wurde bin erstaunt (4) NickName1: hi NickName2 (5) NickName: heut is er wiedermal gut drauf Analog können :( bzw. :((( in (6) und (7) mit "Ich fühle mich traurig bzw. verärgert" umschrieben werden: (6) NickName: bin schon wieder weg (7) NickName1: na hilfe Eine informelle Zählung ergab, dass vom häufigsten Smiley-Typ :) etwa 60% einen eigenen Sprechakt bilden. Häufig werden solche allein stehenden Smileys von derjenigen Person gebraucht, die auch zuvor am Wort war – also (wie auch in den Beispielen (3) bis (7) sozusagen dem vorangegangenen Sprechakt 'nachgeliefert'. Ob tatsächlich, wie von der oben angeführten Hypothese nahe gelegt, ein funktionaler Unterschied etwa zwischen zwei Begrüßungen wie (8) NickName1: hi NickName2 :-) bzw. (9) NickName1: hi NickName2 besteht, kann an dieser Stelle nicht restlos geklärt werden; es bestehen aber doch konnotative Nuancen, die möglicherweise durch einen Sprechaktbezug einerseits und einen Personenbezug andererseits bedingt sein könnten. Was signalisieren die einzelnen Typen von Emoticon? Wie erwähnt, kann hier
nicht generalisiert werden. Allgemein kann aber behauptet werden, dass die
häufigste Form, :-) bzw. :), vielfach dazu verwendet wird, den in
Chat-Interaktionen sehr wichtigen Rahmen
von Solidarität, einer heiteren bzw. positiven Grundstimmung und einer
herzlichen Beziehung zwischen Produzenten und Rezipienten herzustellen. Vielfach
kommt er auch in Pretend-Play-Sequenzen und Flirtsequenzen zum Einsatz, wie etwa
im Beispiel (10) (in dem zu beachten ist, dass NickName1 weiblich und NickName2
männlich ist
(10) NickName1: und ahst an geilen lederstring auch,
Nicki2??????? Beinahe schon obligatorisch ist ein großzügiger Einsatz von :-) in Grußsequenzen wie (8) und (9). Je beliebter der begrüßte Teilnehmer, desto mehr Emphase (meist ausgedrückt durch Reduplikation von Zeichen in den Grußworten bzw. des Smiley-'Mundes') fließt in der Regel in seine Begrüßung ein. Der 'die Zunge herausstreckende' Smiley :-P wird oft als Reaktion auf eine Frotzelei gesetzt, wie in Datum (11), in dem ein wichtiger Statusfaktor im Chat, der Rang eines Teilnehmers gemäß den bereits von ihm produzierten Wörtern, angesprochen wird. NickName1 hat zu seiner freudigen Überraschung festgestellt, dass er bereits auf einem Rang uhu = unter hundert :)) liegt, was auch NickName2 zu freuen scheint – es ist ja nicht so schlimm wie vermutet. NickName3 dagegen vermutet in frotzelnder Weise, dass NickName1 vermutlich auf Rang 99 liegt, eine bösartige Unterstellung, die NickName2 ihm spaßhaft übel nimmt. Die Sequenz kulminiert in einem gegenseitigen Zungezeigen – bzw. der Signalisierung jener Emotion, die in unserem Kulturkreis üblicherweise durch Zungezeigen dargestellt wird. (11) NickName1: uhu = unter hundert :)) Der 'traurige' oder 'ärgerliche' Smiley gehört ebenfalls zu den selteneren Emoticons – vermutlich, weil Trauer oder Ärger schlecht in den immer wieder evozierten Rahmen von Solidarität und Freundschaft passt. Oft wird er für mildes Bedauern oder Frustration eingesetzt wie in (12) und (13) oder überhaupt moduliert verwendet, z.B. in Pretend-Play-Sequenzen. (12) NickName1: hm ich mag das moorhuhnjagd spiel SCHNELL
saugen
(13) i sogs eich i zuck no aus mim linux :-( Der 'Zwinkersmiley' ;-) findet in den vorliegenden Daten wesentlich seltener Verwendung. Sein Einsatz scheint stark idiosynkratisch bedingt zu sein. Seine Funktion ist etwa zwischen :-) und *g* angesiedelt; eine gewisse Ambiguität, die vielleicht für seine geringere Frequenz verantwortlich ist. Oft kontextualisiert er auch einen spielerischen Rahmen oder eine Frotzelaktivität. Die Daten (14) und (15) demonstrieren seine Verwendungsweise: (14) NickName1: wie war der tag bis jetzt Nicki2? (15) NickName1: wo sind hier nette mäderln ?????????? In vielen Smiley-Sammlungen wird der 'Zwinkersmiley' ;-) als
Kennzeichen für Ironie geführt (vgl. z.B. Abel 1999: 95
Sarkasmus dagegen – eine vermeintlich positive Aussage, die negativ intendiert ist – wird dagegen in den Daten oft gar nicht markiert (z.B. NickName3s sarkastisches jaja in Beispiel (10)) oder durch Transkription von phonetischen Merkmalen, die in der Face-to-Face-Interaktion zur Kennzeichnung von Sarkasmus dienen können wie etwa Längung von Vokalen (z.B. jaaaaa, glaub ma sofort). Im interessanten Ansatz von Rosenau (2001)
Gelegentlich können Smileys auch als Rezipienzsignale eingesetzt werden; gewisse Beobachtungen sprechen dafür, dass sie funktional mit Satzzeichen verwandt sein könnten. Andere EmoticonsEine informelle Zählung im vorliegenden Datenmaterial ergab die folgende 'Hitliste' von anderen Emoticons (abgesehen von Smileys):
lol ist ein Akronym für laughing out loud, rofl für rolling on (the) floor laughing. *g* steht für den Inflektiv grins und *fg* für frech bzw. fies grins. muhahaha und ähnliche Formen sind 'phonetische' Transkriptionen von Gelächter ähnlich wie hehe. All diese Formen signalisieren auf irgendeine Art und Weise Amüsement, entweder über einen eigenen oder einen fremden Beitrag, möglicherweise auch über die gesamte Interaktion. Es wurde versucht, eine tendenzielle Klassifikation dieser oberflächlich semantisch ähnlichen Formen vorzunehmen, um etwaige funktionale Unterschiede festzustellen. Hier zeigte sich, dass lol und rofl im Großteil der Fälle eindeutig auf einen fremden Beitrag bezogen sind; *g* modifiziert tendenziell eher einen eigenen Beitrag, und hehe ist ausgesprochen vielseitig – eine konkrete funktionale Eingrenzung konnte für diese Form nicht vorgenommen werden. Intuitiv besitzt hehe eine gewisse kommentierende Funktion – man selbst oder ein Gesprächspartner kommentiert damit eine vorangegangene Äußerung. Die folgenden Beispiele sollen dies illustrieren: (16) NickName1: ups na das ging jo schnell (17) NickName1: ES IS 18:21 UHR (18) NickName1 hat einen neuen Namen: NickName2. (19) NickName1: miad bin i.... (20) NickName1: i kenn jo ned olle kürzel lol und rofl dagegen signalisieren anscheinend echtes Amüsement (vielleicht auch gelegentlich 'soziales Lachen'): (21) NickName1 grüsst jetzt nimmer (22) NickName1 hat einen neuen Namen: ickName[awa]y1. (23) NickName1: dumdidum (24) NickName1: [URL] Bilder vom letzten Treffen eingetroffen
:o))) und ned vergessen in das Gästebuch einzutragen :o)) (25) NickName1: wo sind die anderen? (26) NickName1: teile des 2. bez. gehören schon zu österreich *g* und seine Varianten *fg*, *sfg* (sehr frech/ fies grins) usw. modifizieren meist einen eigenen Beitrag. Meist bringt es einen Rahmen hervor, der von einer gewissen Unverschämtheit oder Doppeldeutigkeit gekennzeichnet ist – oft finden wir diese Formen in Frotzelaktivitäten: (26) NickName1: tja ich hab schon einiges gemacht NickName2
*fg* (27) NickName1_gleiwidada hat einen neuen Namen:
NickName1_noned_da (28) NickName1: hiiiiiiiiiii meine süßen, busssssssl muhahaha schließlich ist eine vielleicht der Gamer-Subkultur entlehnte Form von 'evil laugh' – sie wird genützt, um bösartiges Gelächter zu signalisieren, wie im folgenden Cyberstreit, der auch im Abschnitt Inflektive erwähnt wird: (29) NickName1: muahaha (30) NickName3: argl habts an cybastreit? Es steht den Chatteilnehmern aus der untersuchten Gemeinschaft also ein fixes und durchaus funktional differenziertes Repertoire von Signalen zur Verfügung, um die in diesem Medium fehlenden para- und nonverbalen Hinweise zu ersetzen und die Interpretation von Sprechakten und den kommunikativen Intentionen der Interaktanten zu desambiguieren.
© Alexandra Schepelmann 2002-2003
Teil der Diplomarbeit "Kontextualisierungskonventionen im Internet Relay Chat" (Originalfassung, Stand 2003) von Alexandra Schepelmann
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